Die Silhouette eines toten Baumes zeichnet sich vor der Sonne ab.

Studie zu Klimaforschung Grenzen der Erde bereits überschritten?

Stand: 31.05.2023 18:44 Uhr

Ein internationales Klima-Forscherteam hält ein sicheres und gerechtes Leben für alle Menschen auf der Erde für kaum mehr möglich. Fast alle Grenzen seien bereits überschritten - an der Studie gibt es aber auch Kritik.

Von Susanne Henn, SWR

Der Zustand der Erde und das Wohlergehen der Menschheit sind eng miteinander verknüpft. Das ist der Ausgangspunkt der "Earth Commission", einem internationalen Zusammenschluss von Wissenschaftlern. Gemeinsam haben sie nun sichere und gerechte Grenzen des Erdsystems benannt und in Zahlen gefasst. Ihre Studie haben sie in der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht.

Nur wenn der Planet in einem guten Zustand sei, sei ein sicheres und gerechtes Leben für alle Menschen und andere Arten möglich. Und zwar nicht nur heute, sondern auch für zukünftige Generationen. Diesen Zustand kann es nur dann geben, so das Forscherteam um den Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Johan Rockström, wenn in acht fundamentalen Bereichen die Grenzen der Belastbarkeit des Planeten nicht überschritten werden.

Dabei geht es um die Erderwärmung, den Zustand und die Funktionalität der Ökosysteme, die Verfügbarkeit von Oberflächen- und Grundwasser, sowie die Belastung von Luft und Umwelt mit Schadstoffen, Stickstoff und Phosphor. Die Grundlage der Studie bilden wissenschaftliche Erkenntnisse der vergangenen Jahre sowie Computermodellierungen.

Sieben der acht Grenzen seien bereits überschritten

Das Problem dabei, so Rockström und sein Team: Sieben der acht Grenzen seien bereits überschritten. Der Verlust der Biodiversität oder auch die Erderwärmung ließen sich aber nicht mehr rückgängig machen, was übersetzt bedeutet: Ein sicheres und gerechtes Leben sei, so die Forscher für viele Menschen auf der Erde heute und in Zukunft nicht mehr möglich.

Das Konzept der "planetaren Grenzen"

Bereits vor einigen Jahren hat Rockström gemeinsam mit Kollegen das Konzept der "planetaren Grenzen" entwickelt. Das definiert Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen, wenn Leben auf der Erde dauerhaft möglich sein soll. Diese sind nicht komplett mit den jetzt definierten Grenzen identisch, stimmen aber in großen Teilen überein.

Die Theorie dahinter: Für jeden dieser Bereiche, wie Erderwärmung, Versauerung der Ozeane oder auch Verlust der Artenvielfalt gibt es eine Grenze, einen sogenannten Kipppunkt, der nicht überschritten werden darf. Dieser lässt sich aber erst im Nachhinein definieren, also erst nachdem er erreicht wurde. Das Problem: Sind diese Kipppunkte erst einmal überschritten, so die Forscher, gibt es kein Zurück mehr.

Oder wie Rockström schon vor zwei Jahren in der Netflix-Dokumentation "breaking boundaries" sagte: "Wenn Grönland erst einmal schmilzt, weiß niemand mehr, wie man es wieder einfrieren kann." Und sobald mehrere Kipppunkte überschritten sind, so Rockströms Theorie, folgen die anderen bald nach - wie bei einem Domino.

Neue Studie erweitert die Grenzen

Zu der Frage, was die Erde alles an menschengemachten physikalischen, chemischen und ökologischen Schäden aushalten kann, kommen jetzt die Aspekte "Gerechtigkeit" und "Sicherheit" hinzu. Dadurch werden die Grenzen dessen, was noch ertragbar ist, enger. Ein Beispiel: Selbst wenn es noch gelänge, die Erderwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen, also bei der Grenze, die wissenschaftlich noch als einigermaßen akzeptabel gilt, würde das nur die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels verhindern.

Gerade ärmere Länder sind am stärksten betroffen

In vielen Teile der Erde würden aber auch dann schon viele Menschen sterben, etwa durch den Verlust von Wasser, Nahrung und Lebensraum. Am stärksten betroffen wären - so die Forscher - die ärmsten Länder, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen hätten. Nur wenn es gelungen wäre, die globale Erderwärmung bei unter einem Grad zu stoppen, so das Team, hätte sich diese Entwicklung zumindest noch abschwächen lassen. Und das, so ein Ergebnis der Studie, sei nur eine Grenze, die bereits gerissen worden sei und die in Zukunft ein sicheres Leben für viele Menschen auf der Erde unmöglich mache. In anderen, vor allem reicheren Ländern, blieben die Auswirkungen aber überschaubar.

  

Nicht alle stimmen zu

In ersten Reaktionen erfuhr das Konzept von Rockström und seinen Kollegen von anderen Forscherkollegen viel Zustimmung. Vor allem, dass der Aspekt der Gerechtigkeit mit aufgenommen wurde, werde allgemein begrüßt.

Johannes Emmerling etwa, vom RFF-CMCC Europäischen Institut für Wirtschaft und Umwelt in Mailand (EIEE) sagte dem Wissenschaftsportal Science Media Center: "Generell ist die Studie leider ein Weckruf für die Politik, in wie vielen Bereichen wir riskieren, die Kontrolle über grundlegende Erdsubsysteme - möglicherweise unumkehrbar - zu verlieren."

Doch es gibt auch Kritik, etwa von Henrique Pereira, dem Leiter der Forschungsgruppe Biodiversität und Naturschutz am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung in Halle-Jena-Leipzig. "Mein Hauptkritikpunkt an dem Konzept ist, dass diese Grenzen nicht wirklich von der Wissenschaft definiert werden, sondern stattdessen von der Wissenschaft beeinflusst sind. Das heißt, alle Grenzen beruhen auf der Einschätzung von Expertinnen und Experten, was ein zulässiges Risiko und zulässige Folgen sind, aber eine andere Gruppe von Expertinnen und Experten könnte zu anderen Zahlenwerten für die Grenzen kommen."

Außerdem, so ergänzt Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums, sei nicht in allen Bereichen gesichert, dass es wirklich unumkehrbare Kipppunkte gebe. "In der Zwischenzeit zeigt sich für die Biodiversität, dass es solche Kipppunkte wahrscheinlich nicht gibt. Wenn wir Biodiversität verlieren, scheint es keinen sicheren Bereich zu geben. Im Gegenteil scheinen wir mit jeder verlorenen Art Ökosystemfunktionen zu verlieren, mal mehr und mal weniger. Vor allem leidet mit jeder verlorenen Art die Robustheit und Stabilität von Ökosystemen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 31. Mai 2023 um 17:09 Uhr.