Interview zum Klimawandel "Nur ein neuer Lebensstil kann Klimakriege verhindern"
Der Klimawandel als Ursache für Kriege und Konflikte? Genau das passiert schon, sagte der Sozialpsychologe im Interview mit tagesschau.de. Er erwartet von Konferenzen keine Lösung des Klimaproblems, solange sich unser Lebensstil nicht gundlegend ändert.
tagesschau.de: Was macht den Klimawandel sozial und politisch so gefährlich, dass Sie von Klimakriegen sprechen?
Harald Welzer: Weil es gegenwärtig schon Entwicklungen gibt, wo man den Zusammenhang zwischen Klimaerwärmung und Gewaltkonflikten deutlich sehen kann. Insofern würde ich unter dem Begriff des Klimakrieges tatsächlich solche Konflikte fassen, wo es aufgrund von Bodenerosion, Naturkatastrophen oder ähnlichen Ereignissen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt. Prototypisch ist das zu sehen in Darfur im Westen des Sudans. Dort gibt es Konflikte zwischen unterschiedlichen Interessensgruppen, in dem Fall nomadische Viehzüchter auf der einen und Landbauern auf der anderen Seite. Und wenn das Land durch die Klimaveränderung weniger wird, ist für beide Gruppen nicht mehr genug da.
tagesschau.de: Was unterscheidet denn Klimakriege von normalen Kriegen?
Welzer: Wir haben im Kalten Krieg und in den Konflikten danach eigentlich immer eher die ideologische Komponente gesehen, die sich dann natürlich auch in vielfältigen Machtinteressen äußert. Aber man hat viel zu wenig darauf geachtet, dass häufig bei Konflikten auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen: zum Beispiel die Ressourcenknappheit.
Natürlich haben alle Konflikte niemals nur eine Ursache. Meine Argumentation ist aber, dass sich durch bestimmte Klimaveränderungen die Möglichkeiten für die dort lebende Bevölkerung verschlechtern, noch Nahrung anzubauen oder ihr Überleben zu sichern. Das ist sichtbar in Darfur.
tagesschau.de: Wo und zwischen welchen Parteien finden denn in Zukunft Klimakriege statt?
Welzer: Das wird die Zukunft zeigen. Klar ist aber, verschlechterte Umweltbedingungen führen auch zu Flüchtlingsbewegungen. Und die finden innerhalb eines Landes statt, als Binnenmigration, und zwischen Ländern. Beides ist konfliktträchtig, weil Flüchtlinge immer irgendwo hinwandern, wo schon andere sind. Und das ganze kann auch noch die Kontinente überschreiten, und damit gelangen die Konflikte und die damit verbundenen Sicherheitsprobleme auch zu uns in die Wohlstandsgesellschaften.
tagesschau.de: Also auch die Industrieländer könnten in umweltbedingte Konflikte verwickelt werden, nicht nur die Entwicklungsländer?
Welzer: Ein Szenario was ich sehe, ohne dass man gegenwärtig schon sagen kann, dass es dort dann zu Kriegen kommt, sind neue Ressourcenkonflikte. So werden zum Beispiel durch das Schmelzen des arktischen Eises neue Rohstoffvorkommen zugänglich. Die Hoheitsrechte für solche bisher nicht zugänglichen Rohstofflager sind aber überhaupt nicht geklärt. Und deshalb wird man auf jeden Fall darüber streiten. Ist das dann per Vertrag zu regeln oder sind die Konflikte so groß, dass man auch zur Gewalt greift?
tagesschau.de: Ein fairer Ausgleich zwischen den Gewinnern und Verlierern des Klimawandels ist nicht wahrscheinlich?
Welzer: Nein, es deutet zumindest aus der Geschichte nichts daraufhin. Wir können im Falle des Klimawandels Verursacher und Notleidende identifizieren, und dann stellt sich die Frage der Gerechtigkeit. Die Verursacher, die wohlhabenden Industriestaaten, müssten mehr tun. Das wäre zwar für das Überleben der Menschheit langfristig sinnvoll, aber das wird nicht passieren.
tagesschau.de: Ist das nicht zu pessimistisch? Es gibt die Klimakonferenzen der Vereinten Nationen, wir haben G8-Gipfel zu dem Thema gehabt. Sehen Sie da keinen wirkungsvollen Ansatz?
Welzer: Ich halte diese Dinge für notwendig, weil das alles Schritte sind, die das Thema Klimawandel zumindest immer weiter in der Öffentlichkeit halten. Was allerdings auf der faktischen Ebene passiert, ist sicherlich nicht zielführend. Man nimmt diese globale Problematik überhaupt nicht zum Anlass, grundsätzlich darüber nachzudenken, welche Aspekte unserer Lebensform und unseres Lebensstils kontraproduktiv sind, und welche stattdessen eingeführt werden müssten. Um ein Beispiel zu nennen: Anstatt darüber nachzudenken, dass unsere Mobilitätsvorstellungen wahrscheinlich nicht überlebenstauglich sind, denkt man nur über spritsparende Autos nach. Fehlentwicklungen werden nicht abgebrochen, sondern optimiert. Es wird nicht konzeptuell gedacht, sondern lediglich ein bisschen an Symptomen herumlaboriert.
tagesschau.de: Was müsste denn getan werden, um einen Ausweg aus der Klimaproblematik hinzubekommen?
Welzer: Zunächst müssten wir uns fragen: Wie wollen wir eigentlich leben? Wie soll die Gesellschaft der Zukunft aussehen? Was soll sie den Leuten bieten? Worauf können wir ohne Not, sogar mit Gewinn an Lebensqualität, verzichten? Und was sind eigentlich die Prioritäten, die wir gesellschaftlich setzen? Ist die kurzfristige Erhöhung des Lebensstandards auf Kosten aller kommender Generationen unsere Priorität? Oder ist die Priorität die Sicherung des Überlebens der kommenden Generationen? Ich würde die Fragestellung immer umdrehen und nicht fragen: Was können wir vom gegenwärtigen Status Quo mit Gewalt retten? Sondern: Wie haben wir den Status Quo so zu verändern, damit eine gute Gesellschaft entsteht?
Das Interview führte Dieter Westhoff, tagesschau.de