Arktis-Expedition der "Polarstern" Auf der Suche nach den Spuren des Klimawandels
Ein Wissenschaftsteam unter der Leitung des Alfred-Wegener-Instituts hat knapp zwei Monate in der Arktis geforscht. Nun ist die "Polarstern" mit spannenden Daten im Gepäck zurück.
Sechs Meter hohe Wellen schlagen gegen die Bordwand, weiße Gischt schwappt kraftvoll aufs Deck: Die "Polarstern" befand sich bereits auf dem Rückweg nach Bremerhaven, da geriet der Eisbrecher auf dem Nordatlantik in einen heftigen Sturm. Bilder und Videos zeigen das eindrucksvoll.
Nur wenige Tage später liegt die "Polarstern" bei Nieselregen im Hafen von Bremerhaven - so, als sei nie was gewesen. Kapitän Stefan Schwarze steht auf der Brücke und sagt: "Dieses Schiff ist ein Glücksgriff." Denn die "alte Dame", wie das 42 Jahre alte Forschungsschiff liebevoll genannt wird, sei nicht nur ein guter Eisbrecher, sondern liege dank ihrer Rumpfform ruhiger im Wasser als andere Schiffe.
Und außerdem, sagt der Seemann, habe er schon so einige Stürme mitgemacht.
Arktisches Meereis schmilzt ab
Zwei Monate lang war das deutsche Forschungsschiff in der Arktis unterwegs. An Bord waren 54 Forscherinnen und Forscher und 43 Besatzungsmitglieder. Alfred-Wegener-Institut (AWI) für Polar- und Meeresforschung mit Sitz in Bremerhaven leitete die Expedition. Beteiligt waren auch ein Dutzend weitere Einrichtungen aus Deutschland, Japan oder den USA.
An neun Stationen erforschte das Wissenschaftsteam, wie sich der Klimawandel auf die Arktis auswirkt. Die Arktis gilt als Schlüssel zum Verständnis der Erderhitzung. Die Region rund um den Nordpol erwärmte sich in den vergangenen 40 Jahren einer Studie zufolge fast vier Mal schneller als die Welt insgesamt.
Die Folgen: Das arktische Meereis ist in den vergangenen 30 Jahren stark abgeschmolzen, und auch die Lebens- und Tierwelt im arktischen Ozean verändert sich. Das Team unter der Leitung des AWI nahm deshalb nicht nur Physiker, Meteorologen und Ozeanografen mit an Bord - sondern auch Biologen, die unter dem Eis forschten.
Verblüffende Messergebnisse
Die Ergebnisse, die das Team mitgebracht hat, sind überraschend: Entgegen der Erwartung sei es in diesem Sommer zu keiner neuen Eis-Rekordschmelze gekommen, berichtete AWI-Direktorin und Fahrleiterin Antje Boetius im tagesschau24-Interview. Noch beim Start der Expedition Anfang August habe man das erwartet, auch aufgrund des weltweiten Hitzesommers.
Stattdessen war das Eis mit 1,2 Meter Dicke Anfang September etwa 20 bis 30 Zentimeter dicker als erwartet, sagte AWI-Forscher Marcel Nicolaus. Zudem lag - anders als sonst im arktischen Sommer - viel Schnee auf dem Eis. "Das war wirklich außergewöhnlich", sagte der Meereisphysiker. Die Beobachtungen stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst vor ein Rätsel.
Wetteranomalie verändert die Eisdrift
Mit Hilfe eines Kollegen, der zu Hause in Bremerhaven war und die Daten der "Polarstern" in ein Modell einpflegte, sei klargeworden: Grund war eine Wetteranomalie. Eine Folge von Tiefdruckgebieten habe die Bewegung des Eises, die sogenannte Transpolardrift, verändert. Anders als in den vergangenen 30 Jahren trieb nicht das Eis von sibirischen Schelfen in die untersuchte Nordpolregion; stattdessen sei das Eis aus dem kanadischen Becken gekommen.
Für AWI-Direktorin Boetius ist klar, dass ein solches Wetterphänomen kein Grund zur Entwarnung ist. Denn mit mehr Pech kann es dazu führen, dass das arktische Meereis deutlich schneller schmilzt als erwartet. Vorhersagen würden immer schwieriger.
Kaum Algen unter dem Eis
Unter dem Eis entdeckte das Wissenschaftsteam an vielen Stellen weniger Leben als noch bei der gleichen Expedition vor elf Jahren. So konnten die Forschenden kaum Algen oder gar Algenwälder unter dem Eis finden. Eine dieser Algen ist die fadenförmige "Melosira arctica". Sie ist dünner ist als ein menschliches Haar und wächst wie ein Teppich an der Unterseite des arktischen Meereises. Schmilzt das Meereis im Sommer ab, verkleben die Algen und sinken auf den Meeresboden.
Bei der Expedition 2012 fand Boetius zahlreiche dieser Algenklumpen. In diesem Jahr nicht. Darum fanden sich am Meeresboden auch keine Tiere mehr, die sich von der Alge ernähren, sondern nur noch deren Spuren. Das zeige, wie sehr die Oberfläche mit der Tiefe verbunden sei, so Boetius. Dass die Arktis als ein System verstanden werden müsse.
Der Grund für das Fehlen der Alge sei ebenfalls das veränderte Eis. Es stamme aus einer Region, wo die Alge nicht vorkommt, sagte Boetius.
Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit
Mit ihrer Rückkehr geht die Arbeit der Forscherinnen und Forscher erst richtig los: 100 Eisbohrkerne und 11.800 Liter Wasserproben haben sie mitgebracht. Warum so viel Wasser? Meereisphysiker Nicolaus erklärt, dass an rund 30 Stellen Wasser entnommen wurde, jeweils immer in unterschiedlichen Meerestiefen. Für die Analysen auf Salz-, Chlorophyll- oder Kohlenstoffgehalt sei zudem oft eine Wasserfilterung nötig. Darum brauche man so viel.
Wie sehr sich die Arktis bereits verändert hat, das ist auch für Kapitän Schwarze ersichtlich. Er, der dort schon mindestens 30 Mal war, bemerkte deutliche Unterschiede, als er mit der "Polarstern" durchs Eis fuhr. "Es ist leiser geworden", erzählt er. Früher habe es geknackt, wenn das harte Eis unter dem Schiff zerbrochen sei.
Durch den Klimawandel und das schmelzende Meereis sei das nun anders. Heute, sagt Schwarze, sei eine Fahrt durch das Eis still.