Wasserverlust in Seen Forscher warnt vor extremen Folgen für Artenvielfalt
Auch in Deutschland leiden viele Seen unter Trockenheit und Klimawandel. Eine Gefahr für die Trinkwasserversorgung sei das zwar nicht, sagt Hydrobiologe Rinke im Interview. Für das Ökosystem könne der Mangel dennoch drastische Folgen haben.
tagesschau.de: Eine Studie hat gezeigt, dass weltweit die Hälfte aller größeren Seen Wasser verloren hat in den vergangenen Jahrzehnten. Wie ist die Situation in Deutschland?
Karsten Rinke: In der Studie sind zwar nur zwei Gewässer in Deutschland erfasst. Wir wissen aber aus anderen Untersuchungen, dass die meisten Seen in Deutschland nicht so stark in Gefahr sind, wie in anderen, trockeneren Gegenden auf der Welt. Denn die starke Verdunstung ist hierzulande nicht so hoch. Und wenn ein See mit einem Fluss verbunden ist, dann ist der Wasserpegel erst mal relativ unempfindlich gegenüber Schwankungen im Zulauf.
Problematisch ist es allerdings bei Grundwasser-gespeisten Seen. Das sind zum Beispiel alle Baggerseen, und regional betrachtet viele Seen im brandenburgischen und auch im norddeutschen Raum. Die sind sehr empfindlich, wenn der Grundwasserspiegel nach unten geht. Und wir sehen seit 2018, dass diese Gewässer kleiner werden oder teilweise auch bereits ausgetrocknet sind.
Der Hydrologe arbeitet am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung und ist Leiter des Departments Seenforschung am Standort Magdeburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Ökologie von Seeökosystemen, die Auswirkungen des Klimawandels auf Seen und Talsperren sowie die Trinkwasserversorgung aus Talsperren.
Wasser - ein Hotspot der Biodiversität
tagesschau.de: Was bedeutet das Schrumpfen der Seen für die Ökosysteme vor Ort?
Karsten Rinke: Es gibt Gewässer, die im Hinblick auf die Ökologie sehr wichtig ist: Das sind die Tümpel. Kleingewässer, die auch im Normalzustand oft nur einen halben Meter tief sind, wo aber Libellen rumfliegen und die Frösche laichen - die also zahlreichen gefährdeten Arten einen Lebensraum bieten. Diese Gewässer sind extrem betroffen in Deutschland.
Wasser ist immer ein Hotspot der Biodiversität. Und deswegen ist gerade der Verlust von Kleingewässern mit einem sehr starken Biodiversitätsverlust verbunden. Wir haben zum Beispiel viele Insekten, die ihre Larven im Wasser ablegen. Die Amphibien sind darauf angewiesen, aber auch Muscheln oder Krebse. Die sterben alle, wenn diese Gewässer austrocknen.
Verschiebung innerhalb des Jahres
tagesschau.de: Wir hatten zuletzt mehrere trockene Jahre. Wie wird sich die Situation der Seen, aber auch des Grundwassers weiterentwickeln?
Rinke: Die Prognosen besagen, dass sich die gesamte Wasserverfügbarkeit nicht so sehr verändern wird. Wir rechnen aber mit einer Verschiebung innerhalb des Jahres: Die Sommer werden wärmer und trockener, die Winter hingegen wärmer und feuchter, und das ist eigentlich unser Kernproblem. Der ganze Regen, dessen Menge über das Jahr zwar ungefähr gleich bleibt, fällt zunehmend im Winter.
Und im Sommer - wenn wir darauf angewiesen sind, dass auf unseren landwirtschaftlichen Produktionsflächen unsere Nahrung wächst - dann haben wir weniger Wasser und gleichzeitig höhere Temperaturen und höhere Verdunstung. Das beeinflusst natürlich die Flüsse und auch die Seen.
Satellitenaufnahmen des Aralsees im März 2000...
... und im Januar 2022. Deutlich ist erkennbar, dass der See kleiner geworden ist.
Keine Gefahr fürs Trinkwasser
tagesschau.de: Wie wichtig sind Seen für unsere Trinkwasserversorgung?
Rinke: Da brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, denn zwei Drittel unseres Trinkwassers stammen aus dem Grundwasser. Nur etwa 20 Prozent kommen aus Talsperren oder Seen. Wegen der erwähnten Verschiebung zwischen Winter und Sommer kann es allerdings sein, dass es in manchen Monaten durchaus Probleme geben und nicht mehr jeder seinen Pool befüllen oder Auto waschen kann.
Die Landwirtschaft, deren Wasserbedarf auch stark steigen wird, ist davon allerdings nicht betroffen, denn die nimmt meist kein Trink- sondern Grundwasser - etwa, um Felder zu beregnen.
tagesschau.de: Das bedeutet, das Grundwasser wird eine wichtigere Rolle spielen in den knappen Sommermonaten. Wie sollte unser Wassersystem künftig aussehen, damit weder die Seen noch die Menschen Probleme bekommen?
Rinke: Da reden wir über den Bereich der Klimaanpassung. Das wichtigste ist, dass wir unseren Verbrauch an den vorhandenen Ressourcen orientieren. Wenn im Sommer weniger Wasser zur Verfügung steht, werden wir auch unseren Bedarf anpassen müssen - saisonal und auch regional.
Das zweite ist - und das kommt auch den Seen und Flüssen zugute: Wir müssen das Grundwasser auffüllen. Das hilft den Seen, das hilft der Landwirtschaft und das hilft uns Menschen. Konkret bedeutet das: Der Regen muss ins Grundwasser. Wenn er über zu viele versiegelte Flächen - Gebäude, Parkplätze - oder Kanäle abgeleitet wird, gelangt er in die Flüsse und ist zwei Wochen später im Meer. Er muss aber im Boden versickern, damit wir das Wasser speichern und später nutzen können.
Das Interview führte Alexander Steininger, tagesschau.de.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hatten wir diesen mit einem Foto des Ellertshäuser Sees bebildert. Dieser war aber nur für Sanierungsmaßnahmen trockengelegt. Wir haben deshalb das Bild ausgetauscht.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen