Erdbebenschutz So lassen sich Gebäude einsturzsicher machen
Ein Jahr ist es her, dass bei Beben in der Türkei und in Syrien Hunderttausende Gebäude einstürzten - Zehntausende Menschen starben. In Deutschland entwickelte Schutzsysteme können Gebäude rüttelfest machen.
Nach einem Erdbeben sieht man vor allem eins: Trümmer. Helferinnen und Helfer versuchen verzweifelt, Schutt beiseitezuräumen. Häuser müssen aufwendig repariert oder gleich ganz abgerissen werden. Vor einem Jahr, bei den Beben in der Türkei und in Syrien, wurden rund 230.000 Gebäude beschädigt oder zerstört.
Erdbebensicher bauen, das geht. Noch wichtiger ist es aber, die Häuser erdbebensicher zu machen, von denen die größte Gefahr ausgeht: Altbauten. Das geht auch, dank gleich mehrerer Erfindungen aus Deutschland.
Gipsverband stabilisiert Altbauten
Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wurden Verfahren entwickelt, um Häuser rüttelfest zu machen - und zwar, indem sie eine Art Gipsverband bekommen. Die Funktion der Gipsbinde übernimmt eine spezielle Matte aus Glasfasern und Polypropylen mit einer Spezialappretur.
"Die erste Faser ist relativ steif. Wenn kleine Erdbeben da sind, nimmt die große Teile dieser Kräfte auf", sagt Lothar Stempniewski, ehemaliger Leiter des Instituts für Massivbau und Baustofftechnologie. "Und wenn das Erdbeben zu groß ist, dann reißen diese Fasern, und sehr weiche Fasern geben dann dem Gebäude die Flexibilität."
Diese Flexibilität sei wichtig. Denn lange seien Gebäude sehr steif gebaut worden, was dafür sorge, dass die Kräfte eines Erdbebens stark auf das Gebäude übertragen werden. Mit dem Gipsverband von außen kann das Haus schwanken, ohne einzustürzen. Das Verfahren ist erprobt und wissenschaftlich abgesichert.
In Deutschland entwickelte Matten aus Glasfasern machen Gebäude rüttelfest.
Erdbebenschutz ist vielfältig einsetzbar
Das KIT hat mit mehreren Partnerfirmen zusammengearbeitet, um die richtigen Komponenten zu finden - unter anderem mit der Firma Kast aus dem Allgäu. Die Firma kommt aus der Buchbinderei und kennt sich mit technischen Textilien aus. Geschäftsführer Christoph Kast erklärt, dass das Erdbebenverfahren per "Spezialgipskorsett" überall eingesetzt werden kann.
"Das funktioniert außen und innen im Bereich von neugebauten Gebäuden gleichermaßen wie bei zu sanierenden oder zu renovierenden Gebäuden." Auch bei historischen Gebäuden sei es möglich, das Mauerwerk zu verstärken und die Leistungsfähigkeit des Mauerwerks zu erhöhen, so Kast.
Rettung auch bei Pfusch am Bau
Das Verfahren funktioniert sogar bei Pfusch am Bau. Ein Beispiel: Beim Haus von Dietmar Grömminger am Bodensee wurden falsche Steine verwendet. Ein Gutachter bemerkte, dass das Haus keine Statik hatte und damit nicht erdbebensicher war. Eine herkömmliche Stabilisierung wäre sehr aufwendig geworden, so Grömminger. Das Haus wäre wohl für mehrere Monate nicht bewohnbar gewesen. Im schlimmsten Fall hätte es abgerissen werden müssen.
Das Schutzsystem mit Spezialmatte und -gips war die Rettung. Für das Schutzsystem musste alles runter: Wärmedämmung und Putz. Die Außenmauern wurden mit dem Gipsverband eingewickelt. Aber Familie Grömminger musste nicht ausziehen. Heute ist ihr saniertes Gebäude ein normaler Neubau. Zu sehen ist nichts, das Haus ist erdbebensicher.
Auch beim Megaprojekt Stuttgart 21 wurde das Verfahren bei der denkmalgeschützten Bahndirektion in Stuttgart verwendet - in dem Fall sogar innen. Jetzt sind die tragenden Wände wieder sicher.
Herstellung einer Erdbebentapete. Sie soll den Einsturz von Gebäuden hinauszögern, sodass die Menschen ausreichend Zeit haben, sich in Sicherheit zu bringen.
Schutz von innen: Erdbebentapete zögert Einsturz hinaus
Für nicht tragende Wände haben die Experten des KIT ein weiteres, etwas einfacheres Verfahren entwickelt: eine Erdbebentapete für Innenwände. Sie besteht aus Glasfasern, das Geheimnis steckt aber im patentierten Tapetenkleister - ein besonders zäher, aber flexibler Spezialklebstoff. Zusammen können Kleber und Tapete Innenwände zunächst aufrechthalten und so bei einem Erdbeben zumindest die wertvollen Sekunden zur Flucht nach draußen ermöglichen.
Anbringen kann die Tapete jeder Maler. Sie ist kommerziell erfolgreich und wird besonders oft in Italien verbaut - auch weil der italienische Bauchemiekonzern Mapei das Gesamtsystem vertreibt. Dort gibt es sogar schon Erfahrungen bei schweren Beben. "Viele vor allem öffentliche Gebäude, also Schulen oder Krankenhäuser, hatten das als Schutz und waren danach Ziel von Erdbeben. Wir können also die Effektivität dieses Systems beweisen", sagt Produktmanager Giulio Morandini. Auch die Menschen, die während des Bebens im Gebäude waren, hätten es unverletzt nach draußen geschafft.
Erdbebensichere Sanierung zeigt Erfolge
Auch in der Türkei wurden die Erdbebenschutzsysteme aus Deutschland verbaut, schon vor den starken Beben vor einem Jahr - oft im Rahmen von Sanierungen. "Wir konnten nach den Erdbeben sehen, dass die Gebäude so gut wie keine Schäden hatten, während andere Gebäude in der gleichen Straße komplett zerstört waren", sagt Geschäftsführer Kast.
Erfinder Stempniewski vom KIT hofft, dass mit Erfindungen wie diesen in Zukunft noch viel mehr Gebäude und damit auch Menschenleben gerettet werden können.