Personalisiert und mit KI So könnte das Radio der Zukunft aussehen
Künstliche Intelligenz und digitale Übertragung eröffnen dem Radio neue Möglichkeiten: ein individuell zusammengestelltes Programm - präsentiert von Menschen und KI. Ist das das Radio der Zukunft?
100 Jahre Radio - in seiner langen Geschichte hat der Hörfunk viele Veränderungen durchlebt. Die Geschichte des Radios begann in Deutschland am 29. Oktober 1923 als unpolitischer "Unterhaltungsrundfunk" und wurde in der Nazi-Zeit zum Propagandainstrument, nach dem Krieg zum Demokratievermittler.
Über die Zukunft des Radios wird viel diskutiert, viele haben bereits das Ende des Mediums vorausgesagt, doch Totgesagte leben bekanntlich länger. Noch mehr als die Hälfte der Deutschen schaltet täglich das Radio ein. Schon bald könnte sich das so anhören: ein personalisiertes Programm, moderiert von einer KI-Stimme.
Ist ein KI-Radioprogramm die Zukunft?
Technologisch sind wir davon nicht mehr weit entfernt. Das vollautomatische KI-Radio Radio-GPT, in Deutschland gerade als Big-GPT in der Testphase, braucht für den Sendebetrieb theoretisch fast keine Menschen mehr - im Programm tauchen außer in der Musik nur noch KI-Moderatoren auf. Und bei Diensten wie NPR One, dem US-amerikanischen öffentlichen Radiosender NPR oder Spotify DJ stellt ein Algorithmus ein individuelles Programm für die Hörerinnen und Hörer zusammen.
Aber damit es ein Radio der Zukunft gibt, muss es in Zukunft überhaupt noch Radio geben. Schon immer hatte das Radio Konkurrenz durch Tonträger wie Schallplatten, CDs oder Kassetten. Über die wird hauptsächlich Musik vertrieben. Aktuelle Wortbeiträge waren lange ein Alleinstellungsmerkmal des Radios. Seit Beginn des Jahrhunderts bekommt das Radio hier allerdings auch Konkurrenz: von Podcasts.
Podcast als große Radio-Konkurrenz
Mit relativ wenig Aufwand können auch Privatpersonen aktuelle Inhalte für alle verfügbar machen. Und der Trend geht - wie auch bei audiovisuellen Inhalten - immer mehr in Richtung on Demand, also das zu hören, was ich will und wann ich will.
Um in dieser Welt zu bestehen, muss sich das Radio auf seine Stärken besinnen, sagt der Australier und selbsternannte Radiofuturologe James Cridland. Das sei vor allem die spezielle Beziehung zwischen den Hörenden und den Moderatorinnen und Moderatoren, die bei einer Live-Sendung entsteht.
Als weiteren Punkt nennt Cridland die Relevanz der Inhalte für die Hörenden. Das seien lokale oder regionale oder speziell auf die Zielgruppe zugeschnittene aktuelle Inhalte - das Wetter in der Stadt, die Fußballergebnisse von gestern Abend oder Hintergrundinfos zu dem Song, der gerade lief. "Muss das alles 100 Prozent live sein? Wahrscheinlich nicht. Kann es früher am Tag aufgenommen sein? Auf jeden Fall."
Radio-on-demand: Aktuelle und personalisierte Inhalte
Doch live ist nicht gleich live, sagt Cridland. Allein wegen der Art der Übertragung gebe es schon eine Verzögerung. Und solange sie ihre Aktualität und Relevanz behielten, könnten Inhalte auch voraufgezeichnet sein. Das wäre für ein komplett personalisiertes Radioprogramm nötig, das diese relevanten Inhalte dann ausspielt, wenn ich sie hören will.
Dabei sollte das Programm aber nicht seinen lean-back-Charakter verlieren, sagt Christian Hufnagel. Er leitet das ARD Audiolab, wo ständig am Radio von Morgen gearbeitet wird. Lean-back bedeutet, ich muss mir nicht überlegen, was ich hören will. Ich kann mich zurücklehnen und das Programm genießen. Das bietet auch die Möglichkeit, dass ich überrascht werden kann, mit Inhalten, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie hören will.
Aber das Radio der Zukunft werde auch Interaktionsmöglichkeiten bieten: Gefällt mir ein Beitrag nicht, kann ich ihn überspringen. Gefällt mir ein Song nicht, kann ich ihn austauschen. Interessiere ich mich für ein Thema besonders, kann ich tiefer einsteigen.
Radiosender werden von Plattform abgelöst
Wie sieht das Radio der Zukunft also konkret aus? Das ist natürlich nur Spekulation, aber ein mögliches Szenario wäre das Folgende: Eine gemeinsame Plattform bietet die Möglichkeit unter verschiedenen Anbietern auszuwählen - das, was heute die Radiosender sind. Die Plattform kann über verschiedene Endgeräte empfangen werden: Smartphones, Computer, aber auch klassisch über das Auto- oder Küchenradio. Dort bin ich mit meinem Profil angemeldet. Ist das noch neu, kann ich einen groben Überblick über meine Interessen angeben und bekomme dann schon ein darauf angepasstes Programm ausgespielt.
Mit der Zeit lernt mich der Algorithmus immer besser kennen: Welche Beiträge höre ich mir an? Eher regionale, nationale oder internationale? Welche Musik höre ich am liebsten? Rock, Pop, Klassik? Höre ich lieber männliche oder weibliche Stimmen? Gibt es tageszeitliche Unterschiede in meinen Hörgewohnheiten? Aus alldem wird ein immer mehr auf mich zugeschnittenes Programm.
Algorithmus schneidet Programm auf uns zu
So bleibt es auch möglich, überrascht zu werden, wenn der Algorithmus hin und wieder Beiträge oder Songs außerhalb von meinen Interessen spielt. Durch Interaktion kann ich dem Algorithmus dann sagen: Mehr davon! Oder: Bitte nicht. Und vielleicht sind diese Inhalte von Menschen moderiert, vielleicht von einer KI-Stimme oder vielleicht auch aus einer Mischung von beiden: Allgemeine Inhalte von einem Menschen, aber die ganz persönlich auf mich zugeschnittenen Inhalte sind KI-generiert und von einer von dem menschlichen Moderator geklonten Stimme. So wäre auch kein Unterschied zu erkennen.
Doch das ist noch Zukunftsmusik. Radiosender müssen sich davor auch entscheiden: Worauf legen wir Wert? Menschliche Moderation? Ein überlegtes, kuratiertes Programm? Oder völlige Automation, wie bei Radio-GPT? Das Radio für tot zu erklären, dafür sei es aber zu früh, sagt Forscher Cridland. "Wird es analoges Radio einschließlich UKW weiterhin geben? Da bin ich mir nicht so sicher. Wird es aber weiterhin Live-Radio geben? Ja, absolut."