Karl Lauterbach
Kontext

Neues Gesetzesvorhaben Kriegstreiber-Vorwürfe gegen Lauterbach

Stand: 11.03.2024 11:04 Uhr

Die AfD und andere Stimmen werfen Gesundheitsminister Lauterbach Panikmache und Kriegstreiberei vor. Er hatte gesagt, dass er das Gesundheitssystem per Gesetz auch für einen "militärischen Bündnisfall" wappnen will. Wie ist das einzuordnen?

Von Julia Kuttner, ARD-faktenfinder

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach habe gefordert, "dass deutsche Krankenhäuser sich vorbereiten müssen auf eine höhere Zahl von Kriegsverletzten, von Opfern von Krieg und Terror", sagt AfD-Politiker Alexander von Wrese in einem Video, das unter anderem auf TikTok und Instagram verbreitet wurde. "So lässt sich das im aktuellen Zusammenhang lesen wie eine Vorbereitung auf eine Zuspitzung eines militärischen Konflikts zwischen Europa und Deutschland gegen Russland."

Der rechtspopulistische Blogger und Aktivist David Berger schreibt auf X, dass Lauterbach "die Umstellung des Gesundheitssystems auf Krieg" fordert. Nach den "Taurus"-Leaks gebe es keinen Zweifel mehr: "Für die Ampel und die Union ist der 3. Weltkrieg längst beschlossene Sache."

Lauterbach will Gesetzeslücke schließen

In einem Interview gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) hatte Lauterbach zuvor gesagt:

Die Pandemie hat gezeigt: Unser Gesundheitswesen ist nicht ausreichend für Szenarien gewappnet, die wir lange für undenkbar gehalten haben. Deswegen haben wir uns bereits im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Strukturen für große Krisen besser zu rüsten. Nach dem verbrecherischen russischen Angriff auf die Ukraine hat diese Herausforderung leider an Bedeutung gewonnen. Und deswegen haben wir eine Gesetzeslücke, die wir angehen, um für einen Katastrophenfall oder sogar einen militärischen Bündnisfall - so unwahrscheinlich er ist - vorbereitet zu sein.

Zeitlicher Zusammenhang offenbar Zufall

Besonders brisant, so wird es dargestellt: Das Interview wurde nur einen Tag später veröffentlicht, nachdem Russland bekanntgegeben hatte, dass ein Gespräch hochrangiger Bundeswehroffiziere über "Taurus"-Marschflugkörper abgehört wurde.

Der zeitliche Zusammenhang sei aber Zufall, teilt das Bundesgesundheitsministerium mit. "Das Interview wurde deutlich vor den Leaks geführt", schreibt die Pressestelle auf Anfrage des ARD-faktenfinders. "Der Zeitpunkt der Veröffentlichung wurde ebenfalls vorher von der NOZ so festgelegt. Der Minister hat wahrheitsgemäß die Fragen des Journalisten beantwortet. Am Gesundheitssicherstellungsgesetz wird derzeit mit Hochdruck gearbeitet."

Außerdem weist die Pressestelle darauf hin, dass es nicht um ein neues Vorhaben geht, welches wegen des Kriegs Russlands gegen die Ukraine initiiert wurde: "Das Gesundheitssicherstellungsgesetz ist keine neue Erfindung, sondern bereits im Koalitionsvertrag so benannt. Dort heißt es auf Seite 65: 'Mit einem Gesundheitssicherstellungsgesetz stellen wir insbesondere die effiziente und dezentrale Bevorratung von Arzneimittel- und Medizinprodukten sowie regelmäßige Ernstfallübungen für das Personal für Gesundheitskrisen sicher.'" Der Koalitionsvertrag wurde am 7. Dezember 2021 beschlossen - also vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022.

Allerdings sei die Umsetzung nun dringender geworden, so das Gesundheitsministerium: "Wie der Minister sagt, hat das Gesetzesvorhaben jetzt aber zusätzlich an Bedeutung gewonnen. Insofern ist die Behauptung der AfD faktisch falsch - abgesehen davon, dass die AfD mit dem Vorwurf implizit Täter und Opfer verkehrt. Russland ist in diesem Konflikt der Aggressor. Der Bündnisfall, von dem der Minister spricht, tritt ein, wenn ein NATO-Land angegriffen wird."

Lauterbach als Panikminister verschrien

Was ist mit dem Vorwurf der Panikmache? Dazu sagt Minister Lauterbach selbst im Interview: "Es wäre albern zu sagen, wir bereiten uns nicht auf einen militärischen Konflikt vor, und dann wird er auch nicht kommen. Nach der Logik bräuchte man auch keine Bundeswehr. Nichtstun ist keine Option." Deutschland könne "im Bündnisfall zur Drehscheibe bei der Versorgung von Verletzten und Verwundeten auch aus anderen Ländern werden", so der SPD-Politiker.

Laut dem Kommunikationsexperten Hendrik Wieduwilt trägt Lauterbach eine Mitschuld an den Vorwürfen. "Lauterbach ist seit Corona als Panikminister verschrien. Ob zurecht oder nicht ist für die Kommunikation egal: Das ist jedenfalls sein Ruf. Insofern müsste er da besonders vorsichtig sein", sagt Wieduwilt. Allerdings dürfe Lauterbach sich nicht das Wort verbieten lassen: "Zugleich gibt es ein starkes Interesse bei Rechtsextremen und der russischen Propaganda, die Regierung zu schwächen und Ängste zu schüren. Diese Leute finden dafür immer einen Grund. Man darf ihnen deshalb aber nicht die Diskurshoheit überlassen und nun zu wichtigen Maßnahmen schweigen."

Grundsätzlich könne man über so ein Gesetz nicht erst sprechen, wenn der erste Entwurf fertig sei. "Schließlich finden lange vorher Fachgespräche statt, die auch zu Berichterstattung und Kritik führen können. Der Zeitpunkt ist sehr unglücklich, aber ich sehe nicht, dass Lauterbachs Leute darauf noch Einfluss hatten. Man sollte nicht versuchen, ein bereits aufgezeichnetes Interview aufzuhalten, weil es zu unangenehmen Leaks kommt", so Wieduwilt.

Lauterbach fehle das Gespür für die eigene Wirkung - oder sie ist ihm egal, sagt Wieduwilt weiter. Im konkreten Fall klinge Lauterbachs Formulierung "aktiver und forscher als sie müsste. Er hätte zum Beispiel sagen können: 'der Frieden liegt nicht nur in unserer Hand, wir müssen daher bereit sein', dann hätte das anders geklungen. Ein rhetorischer Schritt auf verängstigte Bürger."

"Gesundheitssystem muss krisenresilient sein"

Grundsätzlich sei Lauterbachs Gesetzesvorhaben richtig, meint Gesundheitsökonomin Susanne Busch, Professorin für Gesundheitsökonomie und -politik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg: "Unser Gesundheitssystem muss krisenresilient sein. Dazu gehören solche Pläne."

Man sollte sich schon vorab Gedanken machen, "dass unsere Pflegekräfte, unser medizinisches, ärztliches und therapeutisches Personal nie wieder unter Bedingungen arbeiten müssen, wie es Anfang 2020 bis 2021 der Fall war".

Insofern habe das nichts mit Panikmache zu tun, "sondern einfach mit kluger Voraussicht in Nicht-Krisenzeiten zu überlegen, was man im Worst Case tut. Dann gibt es nämlich keine operative Hektik, keine unklaren Zuständigkeiten, keine Handlungsunsicherheiten und keine Verteilungsdiskussionen, wenn der Krisenfall eintreten sollte".

Vorhaltekosten spielen große Rolle bei Reform

Um das Gesundheitssystem auf den Krisenfall vorzubereiten, brauche es eine finanzielle Absicherung, sagt Andreas Beivers, Professor für Volkswirtschaftslehre und Studiendekan für Gesundheitsökonomie an der Hochschule Fresenius in München. "Vorhaltekosten spielen eine große Rolle bei der Reform. Von daher ist es richtig, dass Lauterbach diese jetzt bereits mitdenkt. Ich hoffe, er hat schon geklärt, ob er die finanziellen Ressourcen dafür hat."

"Wir haben ohnehin schon das Problem, dass wir viele Stationen und Abteilungen nicht adäquat besetzen können im Regelbetrieb", so Beivers. "Und dann stellt sich die Frage, schaffen wir es überhaupt realistisch mit den derzeit uns zur Verfügung stehenden ökonomischen und personellen Ressourcen diese Vorhaltung, die wir für den Krisenfall bräuchten, hinzubekommen? Vorhaltung ist teuer."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 02. März 2024 um 10:32 Uhr.