Wissenschaftsfeindlichkeit "Über Politik kann man diskutieren, über Fakten nicht"
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erleben immer mehr Angriffe, online wie auch offline. Ein Risikofaktor ist die Forschung zu besonders politisierten Themen wie der Klimakrise.
Nicht nur in Arztpraxen gibt es mehr Gewalt gegen medizinisches Personal, auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland sind einer Studie zufolge oft Anfeindungen ausgesetzt. Das reicht vom Herabwürdigen von Forschungsergebnissen über Beleidigungen und Drohungen bis hin zu physischen Angriffen.
So wurde etwa über den Fall des bekannten Virologen Christian Drosten berichtet, der 2022 im Familienurlaub auf einem Campingplatz in Mecklenburg-Vorpommern bedroht und beleidigt und auch darüber hinaus häufig und heftig angefeindet wurde. Doch Drosten ist nicht der Einzige.
70 Prozent sehen Zunahme der Wissenschaftsfeindlichkeit
Am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft beschäftigt sich der Projektverbund "Kapazitäten und Kompetenzen im Umgang mit Hassrede und Wissenschaftsfeindlichkeit (KAPAZ)" damit, neue empirische Erkenntnisse zum Thema zu gewinnen und Unterstützungsangebote für Forschende zu entwickeln.
Eine Studie des Projektes KAPAZ zeigt, dass 70 Prozent der Befragten eine Zunahme der Wissenschaftsfeindlichkeit in den letzten Jahren wahrnehmen. Knapp die Hälfte der Befragten hat dabei mindestens eine Form von Wissenschaftsfeindlichkeit selbst erlebt.
In der Befragung wurde differenziert nach verletzender Kritik, unangemessenen Reaktionen auf wissenschaftliche Erkenntnisse, aktiver persönlicher Diskriminierung, Versuche, öffentliche Beiträge von Forschenden zu verhindern bis hin zu Hassrede, Drohungen, Vandalismus und generell strafrechtlich relevanten Taten, wovon zwei Prozent der Betroffenen Opfer waren.
Selbstzensur bei Betroffenen
"Für die meisten Befragten führten die Anfeindungen zu einer Verunsicherung und zu einer Unklarheit im Umgang mit diesen Bedrohungen", heißt es in der Studie. Betroffene wünschten sich Maßnahmen zur Stärkung der Kommunikations- und Konfliktlösungskompetenzen. Wie einzelne Forschende berichteten, fühlen sie sich unzureichend auf derartige Situationen vorbereitet und wünschen sich Schulungen im Umgang damit.
Nataliia Sokolovska ist Forschungsprogrammleiterin und arbeitet im Verbund KAPAZ. Sie sieht ein Risiko darin, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer Art Selbstzensur aus Angst vor Anfeindungen mit ihrer Arbeit aus der Öffentlichkeit zurückziehen: "So könnten wichtige Themen aus dem öffentlichen Diskurs wie im Bereich der Klimaforschung verschwinden und dem wollen wir mit unserer Arbeit entgegenwirken."
Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler möchte der Projektverbund KAPAZ Hilfestrukturen schaffen. Es sei wichtig, transparent in der eigenen Kommunikation zu sein und ehrlich mit Unsicherheiten umzugehen. KAPAZ umfasst daher mehrere Arbeitspakete: Einen Helpdesk für Betroffene, Leitlinien für Forschungseinrichtungen sowie Trainingsprogramme für Fachleute und Forschende.
Politisierte Themen als Risikofaktor
Allerdings sind nicht alle Forschenden gleichermaßen von Anfeindung betroffen. Die Transfer Unit Wissenschaftskommunikation - ein gemeinsames Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) und Wissenschaft im Dialog (WiD) - identifiziert unterschiedliche Risikofaktoren, die es wahrscheinlicher machen, Anfeindungen zu erleben.
Dazu gehört neben einer Zugehörigkeit zu gesellschaftlich marginalisierten Gruppen auch eine hohe Reichweite der eigenen Wissenschaftskommunikation, etwa auf Social Media. Ein weiterer Risikofaktor ist die Forschung zu einem besonders politisierten Thema wie der Klimakrise, Gender Studies, Rechtsextremismus oder der Coronapandemie.
"Die Themen haben gemeinsam, dass sie zu politischen Forderungen oder politischen Notwendigkeiten führen", meint Sebastian Bartoschek. Der Psychologe und Journalist hält grundsätzlich die Menschen in unserer Gesellschaft für wissenschaftsfreundlich - jeder wolle eigentlich Errungenschaften von Wissenschaft nutzen und habe auch Freude daran.
Verständnis für Wissenschaft nimmt ab
"Es ist keine Krise der Wissenschaft, sondern es ist ein Unvermögen, zu erkennen: Was ist ein wissenschaftlicher Befund?" Das Wissenschaftsverständnis nehme ab, so Bartoschek. "Selbst Flatearther argumentieren in ihren Videos zumindest pseudowissenschaftlich", meint Bartoschek, der sich in seiner Doktorarbeit mit Verschwörungstheorien auseinandergesetzt hat.
Das Vertrauen in die Wissenschaft ist weltweit zwar groß, in Deutschland aber leicht unterdurchschnittlich, wie eine Studie mit Befragten in 68 Ländern Anfang des Jahres zeigte.
Wie aber kann es sein, dass in einer Welt mit dem heutigen Wissensstand das Verständnis für die Wissenschaft abnimmt? Die Beziehung zwischen Gesellschaft und Wissenschaft würde immer komplexer, heißt es in der Studie von KAPAZ: "Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Expertise werden immer stärker in der öffentlichen Debatte ausgehandelt und kommuniziert, was vermehrt Spannungen erzeugt."
Eine besondere Rolle spielte dabei die Coronapandemie: "Während der Pandemie wurde die Bedeutung von wissenschaftlichen Erkenntnissen für viele sehr spürbar - auf politischer, auf gesellschaftlicher, auf persönlicher Ebene", sagt Sokolovska. Daher sei die Forschung - und damit auch extreme Anfeindungen - stärker in den Mittelpunkt getreten.
Keine Gegenrede in Echokammern
Bartoschek sieht außerdem ein großes Kommunikationsproblem in der Unterscheidung, was Politik ist und was Wissenschaft: "Über Politik kann man diskutieren, über Fakten halt nicht."
Letztlich fange es mit einer Frage an, die die Menschen im Kopf hätten - und dann könnten sie auch leicht eintauchen in die Desinformation. Durch die Algorithmen in Sozialen Medien sei Selbstradikalisierung zu einem sehr schnellen Prozess geworden, erklärt der Psychologe. "In Echokammern gibt es keine Gegenrede", so Bartoschek.
"Wir glauben alle, wir können besser mit Medien umgehen als die anderen", sagt er. "Wir unterschätzen immer noch den Umstand, dass wir, wenn wir von einer nahen Person etwas zugespielt bekommen, es als genauso valide ansehen wie eine seriöse Quelle." Das hatte Sozialpsychologin Pia Lamberty bereits vergangenes Jahr im Gespräch mit tagesschau.de betont: Viele Menschen seien kaum durch Experten in den Medien, sehr wohl aber durch Institutionen in ihrem Umfeld zu erreichen.