Olaf Scholz und Friedrich Merz
faktenfinder

TV-Duell Die Aussagen von Merz und Scholz auf dem Prüfstand

Stand: 11.02.2025 15:59 Uhr

Von Asylpolitik bis Insolvenzen: Im TV-Duell von Scholz und Merz gab es viele Zahlen. Die meisten halten einer Überprüfung stand. Einige waren aber ungenau, bei anderen fehlte Kontext.

Von Carla Reveland und Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

In ihrer ersten TV-Debatte vor der Bundestagswahl haben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) eineinhalb Stunden lang diskutiert - es ging vor allem um Asyl- und Wirtschaftspolitik. Im Duell untermauerten sie ihre Argumente mit jeder Menge Zahlen. Die meisten davon waren korrekt. Allerdings gab es auch einige ungenaue Behauptungen.

Zahl der Asylgesuche lässt sich nicht überprüfen

Beim Thema Migration sagte Scholz, dass die Regierung 40.000 Zurückweisungen vorgenommen habe. Zudem sei die irreguläre Migration 2024 um 34 Prozent zurückgegangen. Beides ist korrekt.

 Scholz ergänzte, dass es im Januar 2025 den niedrigsten Wert an Asylgesuchen seit 2016 gegeben habe. Er habe dafür gesorgt, dass Deutschland im Januar "den niedrigsten Wert, was Asylgesuche betrifft, seit 2016" habe. Das lässt sich nicht anhand öffentlich zugänglicher Daten überprüfen.*

Von einem Asylgesuch spricht man, wenn Asylsuchende sich nach der Einreise bei der Grenzbehörde, der Polizei oder einer Ausländerbehörde melden und um Asyl nachsuchen. Das ist nicht gleichbedeutend mit einem Asylantrag.

Einer Grafik der Bundesregierung zufolge ist die Zahl der Asylgesuche im Januar 2025 der niedrigste Monatswert seit Januar 2023. Für diesen Zeitraum sind die Monatszahlen der Asylgesuche einzusehen. Für die Zeit davor lassen sich die Aussagen mangels öffentlich zugänglicher Daten nicht überprüfen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weist diese Zahlen in seinen monatlichen Standardveröffentlichungen nicht aus.

Für den Fall, dass Scholz einen Vergleich ausschließlich der Januar-Werte der einzelnen Jahre gemeint haben sollte, wäre die Aussage mit Ausnahme des Covid-Ausreißers von 2021 korrekt - im Januar 2021 waren es nur 8.564 und somit weniger.

Bei Asylanträgen nicht der niedrigste Wert seit 2016

Für die Asylanträge lassen sich hingegen die monatlichen Entwicklungen seit 2016 nachvollziehen. In diesem Fall handelt es sich im Januar 2025 weder um die niedrigste Zahl für einen Monat noch für einen Januar-Wert seit 2016. So wurden nach Angaben des BAMF im Januar 2025 16.594 Asylanträge gestellt. Im Januar 2022 waren es zum Beispiel 13.726, im Januar 2021 6.949. 

In anderen Monaten waren es ebenfalls weniger: Im Dezember 2024 waren es mit 13.716 und im April 2022 mit 13.056 noch weniger. Auch während der Vorgängerregierung unter Angela Merkel waren die Asylgesuche in einzelnen Monaten niedriger, wie etwa im Juni 2019 mit 9.691 oder im Januar 2018 mit 15.077.

Im Jahresvergleich ist die Zahl der Asylanträge zuletzt zurückgegangen. Spitzen gab es 2016 und 2023.

Scholz-Aussage zu Abschiebung korrekt, aber Kontext fehlt

Bei einer Aussage zu Abschiebungen des SPD-Kanzlerkandidaten fehlte Kontext. Er sagte: "Wir haben die Abschiebungen um 70 Prozent gesteigert, seitdem ich Kanzler bin." Das ist korrekt. Laut Tagesspiegel wurden im vergangenen Jahr 20.084 Menschen abgeschoben. Das sind 22,2 Prozent mehr als im Jahr 2023 und seit 2019 erstmals wieder mehr als 20.000 Abschiebungen. Scholz trat im Dezember 2021 sein Amt an.

2021 wurden 11.982 Menschen abgeschoben - das entspricht einer Steigerung von rund 67 Prozent.

Allerdings muss diese Prozentzahl im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gesehen werden. Denn in den Corona-Jahren 2020 und 2021 gab es deutlich weniger Abschiebungen - es waren nicht einmal halb so viele wie in den Jahren zuvor. 2020 wurden 10.800 Menschen abgeschoben. 2019 waren es 22.097 Abschiebungen, 2016 sogar mehr als 25.000 - mehr als im Jahr 2024.  

Merz zu Insolvenzen: Zahl korrekt, aber kein Höchststand

Einer der Schwerpunkte des Duells war die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. Der Spitzenkandidat der Union behauptete, dass es in Deutschland eine Insolvenzwelle wie nie in den vergangenen 15 Jahren gegeben habe. 50.000 Unternehmen seien in der Amtszeit von Bundeskanzler Scholz in die Insolvenz gegangen - fast die Hälfte davon im vergangenen Jahr.

Im Jahr 2022 gab es laut Statistischem Bundesamt (Destatis) 14.590 Unternehmensinsolvenzen, 2023 waren es 17.814. Für das Jahr 2024 gibt es von Destatis bislang nur die endgültigen Zahlen bis einschließlich Oktober, bis dahin waren es demnach 18.234. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform rechnet für das vergangene Jahr insgesamt mit 22.400. Damit stimmt die Aussage von Merz, dass während der Amtszeit von Scholz 50.000 Unternehmen insolvent gegangen sind.

Allerdings gab es in den vergangenen 15 Jahren gleich mehrere Jahre mit zum Teil deutlich mehr Unternehmensinsolvenzen. In den Jahren 2010 und 2011 waren es jeweils mehr als 30.000, bis 2014 mindestens 24.000 pro Jahr. Weniger als 20.000 Unternehmensinsolvenzen gab es in den vergangenen 15 Jahren nur zwischen 2018 und 2023.

Wirtschaftswachstum für 2025 noch nicht absehbar

Zudem meinte Merz mit Blick auf die wirtschaftliche Situation in Deutschland, dass sich Deutschland "jetzt im dritten Jahr einer Rezession" befinde. Das habe es in Deutschland noch nie gegeben. Diese Aussage ist so nicht ganz richtig.

Tatsächlich ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den vergangenen zwei Jahren jeweils leicht gesunken: Im Jahr 2023 waren es laut Destatis 0,3 Prozent, im Jahr 2024 0,2 Prozent. Es handelt sich damit um die längste Rezession seit mehr als 20 Jahren: Zuletzt war die deutsche Wirtschaftsleistung 2002/2003 zwei Jahre in Folge zurückgegangen. Ob es auch 2025 eine Rezession in Deutschland geben wird, lässt sich momentan noch nicht sagen.

Die Bundesregierung erwartet für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von 0,3 Prozent, die Industriestaaten-Organisation OECD prognostizierte im Dezember ein Wachstum um 0,7 Prozent. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wiederum rechnet mit einem Rückgang des BIP um 0,1 Prozent. Sollte es tatsächlich zu einer weiteren Rezession kommen, wäre es mit drei Jahren in Folge jedoch wirklich ein Novum für die Bundesrepublik.

Bei Ukraine-Hilfe fehlt Kontext

Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sagte Scholz: "Deutschland ist der größte Unterstützer der Ukraine in Europa und wird es bleiben." Die Bundesregierung gibt an, seit der russischen Invasion der Ukraine Hilfen im Gesamtwert von knapp 44 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt zu haben. Die Hilfen seien beispielsweise in die Luftverteidigung geflossen, in Winterhilfsprogramme, Energiehilfe, humanitäre Hilfe, Minenräumung, Aufarbeitung von Kriegsverbrechen oder der Unterstützung für Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind.

Die Aussage von Scholz stimmt laut Ukraine Support Tracker des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) hinsichtlich vieler Aspekte, ist jedoch nicht vollständig. So liegt Deutschland in absoluten Zahlen bezüglich der gesamten bilateralen Hilfe mit knapp 16 Milliarden Euro für die Ukraine in Europa an erster Stelle. Die USA liegen mit 88 Milliarden Euro Unterstützung weltweit vorne.

Auch in Bezug auf die militärischen (11,04 Milliarden Euro) und humanitären (3,2 Milliarden Euro) Hilfeleistungen landet Deutschland weltweit auf dem zweiten und europaweit auf dem ersten Platz. Auch hat Deutschland vor Polen die meisten ukrainischen Geflüchteten aufgenommen. Berechnet man die Kosten für Geflüchtete aus der Ukraine mit ein (32,9 Milliarden Euro), kommt das IfW Kiel auf 48,6 Milliarden Euro.

Bei den finanziellen Hilfeleistungen landet Deutschland jedoch nur auf Platz fünf. Gemessen an der wirtschaftlichen Kraft rangiert die Bundesrepublik weit hinten: Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt liegt Deutschland mit etwa 0,4 Prozent des BIP nur auf Platz 17. 

* Hinweis: In einer früheren Version wurde die Aussage von Scholz zu den Asylgesuchen ausschließlich mit den Zahlen der Asylanträge verglichen. Wir haben den Absatz um die Zahlen der Asylgesuche ergänzt, soweit diese öffentlich verfügbar sind.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 10. Februar 2025 um 09:00 Uhr.