Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump bei ihrem Treffen im Weißen Haus
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Krieg gegen die Ukraine Welche Behauptungen von Trump falsch sind

Stand: 11.03.2025 17:52 Uhr

Seit Wochen übt US-Präsident Trump Druck auf die Ukraine und ihren Präsidenten Selenskyj aus. Dabei stellt er zahlreiche Falschbehauptungen auf, um Selenskyj zu diskreditieren und die Rolle der USA zu überhöhen.

Von Carla Reveland und Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

Wolodymyr Selenskyj sei "respektlos", setze das Leben von Millionen Menschen aufs Spiel und riskiere einen Dritten Weltkrieg. Spätestens seit dem Eklat vor laufenden Kameras Ende Februar im Weißen Haus ist deutlich, dass US-Präsident Donald Trump, Vizepräsident JD Vance und seine Kabinettsmitglieder den ukrainischen Präsidenten als Problem mit Blick auf mögliche Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine erachten.

Um die eigene Position zu stärken und die Selenskyjs zu schwächen, äußerten sich Trump und seine Kabinettsmitglieder in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine - auch mit falschen oder irreführenden Behauptungen, die zum Teil prorussische Narrative bedienen.

Falsche Behauptungen über Ukraine-Hilfen

So behauptete Trump unter anderem, dass die USA bislang 350 Milliarden US-Dollar an US-Hilfe für die Ukraine geleistet hätten, europäische Staaten hingegen nur 100 Milliarden US-Dollar. "Aber es kommt noch schlimmer: Europa hat es in Form eines Kredits gegeben, sie bekommen ihr Geld zurück", so Trump. Die USA hingegen würden nichts zurückbekommen. Doch vieles an dieser Aussage ist falsch.

Zum einen haben die USA verschiedenen Instituten zufolge bislang deutlich weniger Hilfen für die Ukraine verabschiedet, als Trump behauptet. Laut dem Center for Strategic & International Studies hat der US-Kongress seit der russischen Invasion fünf Gesetzesentwürfe verabschiedet, die sich auf insgesamt 174,2 Milliarden US-Dollar belaufen. Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) wiederum kommt auf eine Summe von etwa 119 Milliarden US-Dollar.

Laut einem Bericht des Sondergeneralinspektors, der die US-Unterstützung für die Ukraine überwacht, hat der US-Kongress 182,75 Milliarden Dollar zur Unterstützung des Amtes für Hilfe und Wiederaufbau und der breiteren US-Reaktion auf die Ukraine bewilligt oder anderweitig zur Verfügung gestellt. All diese Zahlen sind weit von den 350 Milliarden US-Dollar entfernt, die Trump genannt hat.

Hinzu kommt, dass europäische Staaten den Berechnungen des IfW Kiel zufolge insgesamt mehr Hilfen für die Ukraine bereitgestellt haben als die USA. Den 119 Milliarden US-Dollar der Vereinigten Staaten stehen demnach etwa 138 Milliarden gegenüber, die von europäischen Ländern kommen. Die EU gibt an, dass allein die EU-Mitgliedsstaaten seit Beginn des großangelegten russischen Angriffskriegs 145 Milliarden US-Dollar an Hilfen zur Verfügung gestellt haben.

Großteil der EU-Hilfen sind keine Kredite

Dass die europäischen Staaten ihre Hilfen in Form von Krediten an die Ukraine gegeben haben, stimmt nur zum Teil. Nach Angaben der EU haben die Mitgliedsstaaten 65 Prozent der Hilfeleistungen in Form von finanzieller, militärischer, humanitärer und Flüchtlingshilfe durch Zuschüsse oder Sachleistungen zur Verfügung gestellt. Lediglich 35 Prozent der Hilfen seien in Form von Darlehen "zu Vorzugsbedingungen" geleistet worden. Somit bekommen auch die EU-Mitgliedsstaaten einen Großteil der Hilfeleistungen nicht zurück - anders als von Trump behauptet.

Hinzu kommt, dass Experten zum Beispiel vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) davon ausgehen, dass die hohen Schulden für die Ukraine ohnehin nicht tragbar sein werden und "ein erheblicher Schuldenerlass" ausgehandelt werden müsse.

In der Tat haben die USA einen noch niedrigeren Anteil in Form von Krediten bei den Hilfeleistungen an die Ukraine. So wurden nach Angaben der US-Faktencheckseite FactCheck.org etwa neun Milliarden US-Dollar der Hilfe als Darlehen bereitgestellt, der Rest in Form von Zuschüssen. Zudem haben die USA zusammen mit den anderen G7-Staaten ein Darlehen für die Ukraine vereinbart. Der US-Anteil an dem Darlehen beträgt 20 Milliarden US-Dollar.

Wie eine Mitarbeiterin des Center for European Policy Analysis (CEPA) gegenüber FactCheck.org sagt, bleiben jedoch vor allem die Mittel für die Militärhilfe in Höhe von etwa 66 Milliarden US-Dollar in den USA und werden in die US-Militärproduktion investiert. Etwa die Hälfte dieses Betrags gehe demnach an US-Unternehmen, um die Waffen aufzufüllen, die aus den vorhandenen Beständen in die Ukraine geliefert werden. Die andere Hälfte gehe an Unternehmen in den USA, die Waffen für die Ukraine herstellen.

Selenskyj kein "Diktator ohne Wahlen"

Trump sagte zudem über den ukrainischen Präsidenten Selenskyj, dass dieser ein "Diktator ohne Wahlen" sei. Auch das ist zumindest irreführend und bedient ein weiteres prorussisches Narrativ. Zwar ist die reguläre Amtszeit Selenskyjs am 20. Mai letzten Jahres formell ausgelaufen - laut ukrainischer Verfassung genau fünf Jahre nachdem sie begonnen hat. Allerdings ist Selenskyj trotzdem weiterhin rechtmäßiger Präsident, solange der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine andauert.

Am Tag des vollumfänglichen Angriffs Russlands auf die Ukraine verhängte Selenskyj das Kriegsrecht über das Land. Das ukrainische Parlament kam noch am selben Tag zusammen und billigte die Anordnung des Präsidenten, so wie es die Verfassung des Landes verlangt.

Die Bestimmungen des Kriegsrechts wurden 2015 neu geregelt, also noch unter Selenskyjs Vorgänger Petro Poroschenko. Sie sehen unter anderem vor, dass es während des Kriegsrechts keine Präsidentschaftswahlen gibt und die Verfassung nicht geändert werden darf. Die Amtszeit des Präsidenten verlängert sich damit, bis das Kriegsrecht aufgehoben ist. Ähnliche Regelungen gibt es in vielen westlichen Staaten. Im deutschen Grundgesetz sind sie im Artikel 115a festgelegt.

Auch die Wahlperiode des Parlaments verlängert sich unter dem Kriegsrecht. Das legt die Landesverfassung fest. Seit 2022 haben die Abgeordneten regelmäßig darüber abgestimmt, das Kriegsrecht zu verlängern, zuletzt am 15. Januar.

Sowohl demokratisch als auch rechtsstaatlich sei das in der Ukraine "vorbildlich geregelt", sagte Otto Luchterhandt, Ostrecht-Experte und emeritierter Professor der Universität Hamburg, bereits vergangenes Jahr dazu. Denn das Parlament sei "voll in der politischen und verfassungsrechtlichen Verantwortung und Befugnis", weil es sowohl entscheidet, ob der Kriegszustand verhängt oder verlängert wird als auch über die genaue Dauer nach Tagen und Monaten.

Trump nennt falsche Zustimmungswerte

Darüber hinaus behauptete der US-Präsident, dass Selenskyjs Zustimmungswerte auf vier Prozent gefallen seien. Trump nannte dabei keine Quelle und auch das Weiße Haus verweigerte auf Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters eine Aussage dazu.

Auch Elon Musk, der für das Department of Government Efficiency (DOGE) tätig ist, wiederholte die Behauptung auf seinem Kurznachrichtendienst X. Er schrieb, Selenskyj werde in Wirklichkeit vom ukrainischen Volk verachtet, weshalb er sich weigere, Wahlen abzuhalten.

Es gibt nur wenige Umfragen, die während des Krieges als repräsentativ angesehen werden können, da beispielsweise viele Ukrainerinnen und Ukrainer das Land verlassen haben. Ein internationales Forscherteam erhebt jedoch regelmäßig repräsentative Umfragen in der Ukraine unter dem Projektnamen "Identity and Borders in Flux: The Case of Ukraine" (IBiF). Der Zustimmungswert für Selenskyj lag demnach laut einer aktuellen Umfrage bei 63 Prozent.

Er bleibt damit der beliebteste Politiker der Ukraine. Zudem geben 73 Prozent an, Selenskyj sei eine "intelligente Person" und 64 Prozent sehen ihn als "starke Führungsperson".

Aussage unterstützt "Propaganda des Kremls"

Das Kiewer Institut für Soziologie (KIIS), welches die Umfrage in Kooperation mit dem IBiF durchgeführt hat, hat hierfür zwischen November 2024 und Januar 2025 telefonisch 1.600 zufällig ausgewählte, volljährige Personen, die in der Ukraine ansässig sind, befragt.

Olga Onuch, Professorin für vergleichende und ukrainische Politik an der Universität Manchester, führt als eine der Forscherinnen seit 2014 Umfragen in der Ukraine durch. Sie sagt, dass Trumps Behauptung nicht nur sachlich falsch sei, sondern auch unverantwortlich und antidemokratisch. Selenskyj sei nach wie vor ein recht beliebter Politiker in der Ukraine. "Die Verbreitung von Fehlinformationen, die seine Legitimität angreifen, unterstützen direkt die Propaganda des Kremls und untergräbt das Recht des ukrainischen Volkes, seine Zukunft selbst zu bestimmen."

Vertrauen in Selenskyj gestiegen

Das KIIS fragt regelmäßig auch das Vertrauen in den ukrainischen Präsidenten ab. Anfang Februar gaben 57 Prozent an, Selenskyj zu vertrauen. Dieser Wert ist laut der aktuellsten Umfrage von Anfang März um zehn Prozentpunkte auf 67 Prozent gestiegen.

Das Umfrageergebnis lege den Schluss nahe, dass Trumps verbale Angriffe die Unterstützung für Selenskyj im eigenen Land stärkten, erklärte das Umfrageinstitut. "Wir erleben einen Prozess der Vereinigung der Gesellschaft vor dem Hintergrund neuer Herausforderungen für die Ukraine", sagt KIIS-Leiter Anton Gruschetsky. Offenbar nähmen die Ukrainer Trumps Rhetorik als "Angriff auf die gesamte Ukraine und alle Ukrainer" wahr.

Täter-Opfer-Umkehr

Kurz bevor sich der Ukraine-Krieg zum dritten Mal jährte, gab Trump bei einer Pressekonferenz in seinem Anwesen Mar-a-Lago in Florida der Ukraine mindestens eine Mitschuld am Kriegsausbruch und am noch immer andauernden Kriegs.

"Ihr hättet es nie anfangen sollen. Ihr hättet einen Deal annehmen können", sagte der US-Präsident. Die Ukrainer hätten im Falle eines Deals kaum Land verloren, behauptete Trump damals weiter,  und "es wäre keine Menschen getötet und keine Stadt zerstört worden." Es gebe in der Ukraine "eine Führung, die einen Krieg zugelassen hat, den es nie hätte geben dürfen".

Auch hier bedient Trump das russische Narrativ, nachdem die Ukraine der Aggressor sei. Fakt ist: Der vollumfängliche Krieg in der Ukraine begann am 24. Februar 2022 als eine groß angelegte Invasion russischer Truppen auf ukrainischem Territorium. Zwei Tage zuvor hatte Russland bereits zwei Separatistengebiete in der Ostukraine als unabhängige Staaten anerkannt und russische Truppen in die ukrainische Region Donbass geschickt. Beobachter betrachten bereits Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim 2014 und den Krieg in der Ostukraine als Teil des Kriegs Russlands gegen den Nachbarn.