ARD-DeutschlandTrend extra Die Grünen sind die Superwahljahr-Sieger
Das Superwahljahr geht mit der Bremen-Wahl in die Sommerpause. Die Zwischenbilanz zeigt klar: Für die Grünen war das Jahr 2011 bis jetzt ein Triumph. Die SPD kommt weiter nicht voran - und bei den Regierungsparteien ist vor allem die FDP extrem unpopulär.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Sieben Landtagswahlen, fünf davon vor dem Sommer, zwei danach - so intensiv ist in der Bundesrepublik seit 1994 nicht mehr gewählt worden. Und weil sich die Achsen im Parteiensystem seit der letzten Bundestagswahl deutlich verschoben haben, lohnt es sich, Bilanz zu ziehen. Dabei blicken wir nicht nur auf die Ergebnisse der bisherigen Landtagswahlen zurück, wir haben auch die Ergebnisse des ARD-DeutschlandTrend extra, den Infratest dimap von Mittwoch bis Freitag der vergangenen Woche bundesweit erhoben hat.
Aber es ist egal, welche Daten man heranzieht: Die politischen Sieger des Jahres 2011 sind unangefochten die Grünen. In der Sonntagsfrage der vergangenen Woche stehen sie bei 23 Prozent und damit vier Punkte besser als zu Jahresbeginn. Und als einzige Partei haben sie bei allen fünf bisherigen Landtagswahlen Gewinne erzielt. Mehr noch: Die heutige Bremen-Wahl ist die fünfzehnte in Folge, bei der das Wahlergebnis für die Partei besser ausfällt als bei der jeweils vorangegangenen Wahl. Viermal, in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Bremen, haben sie ein Allzeithoch erzielt.
In allen Lagern populär und in einer Schlüsselposition
Anders als früher üblich haben sie nicht nur Wähler aus dem sogenannten linken Lager - also von SPD und Linkspartei - für sich gewinnen können, es sind auch frühere Unionswähler, die zur Stärke der Grünen beitragen. Am erfolgreichsten ist die Partei bei Wählerinnen und Wähler mit hoher Bildung, hohem Einkommen und ganz generell bei Erwerbstätigen.
Die Sonntagsfrage zeigt, wie sehr die Grünen damit in eine politische Schlüsselposition gekommen sind. Stärkste Kraft bleibt unangefochten die Union, mit derzeit 33 Prozent (-3 gegenüber dem Jahresbeginn). Und auch die SPD liegt mit 26 Prozent (+/- 0) weiterhin eindeutig vor den Grünen, die, wie erwähnt, bei 23 Prozent stehen. Die Linkspartei erreicht gegenwärtig acht Prozent (-1) und die FDP ist unverändert bei vier Prozent. Wenn man von einer schwarz-roten Koalition absieht, wären die Grünen bei dieser Lage die entscheidende Kraft für die Regierungsbildung. Schwarz-Grün und Rot-Grün sind die beiden einzigen Konstellationen mit parlamentarischer Mehrheit.
Wähler sind mit Regierungsparteien unzufrieden
Kennzeichnend für die politische Stimmung in diesem Wahljahr ist auch die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung und mit den Regierungsparteien. Ganze 26 Prozent erklären sich zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung - und selbst bei den Anhängern von Union und FDP ist eine Mehrheit unzufrieden. Dabei lässt sich diese Unzufriedenheit klar an handelnden Personen festmachen. Bei der offen (also ohne Vorgabe) gestellten Frage, welcher deutsche Politiker in den letzten Monaten am meisten enttäuscht hat, belegen drei amtierende oder ehemalige Regierungsmitglieder die Spitzenplätze. Jeweils 22 Prozent nennen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle, 18 Prozent den ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Das heißt: Fast zwei Drittel der Antworten konzentrieren sich auf diese drei Politiker.
Diese Veränderungen spiegeln sich auch in der Rangliste der wichtigsten Spitzenpolitiker wider. Belegten zu Jahresbeginn noch Merkel und Guttenberg die Spitzenplätze, so ist Merkel nun mit 49 Prozent Zustimmung nicht mehr in der Spitzengruppe. Guttenberg steht nicht mehr auf der Liste, weil er seine politischen Ämter abgegeben hat. Stattdessen gibt es diese Woche einen ganz neuen Spitzenreiter: Verteidigungsminister Thomas de Maizière erreicht mit 59 Prozent Zustimmung nicht nur seinen persönlichen Bestwert, sondern auch den ersten Rang in der Liste. Ihm folgen Finanzminister Wolfgang Schäuble (57 Prozent) und die beiden SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück mit jeweils 55 Prozent.
Wer soll für die SPD kandidieren?
Der Letztgenannte hatte in der vergangenen Woche mit einem Radiointerview die Diskussion über den künftigen SPD-Kanzlerkandidaten selbst angeheizt. Neben dem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel gelten Steinmeier und Steinbrück als die einzig realistischen Kandidaten. Für alle drei haben wir im aktuellen DeutschlandTrend die Chancen ausgelotet und sie in der so genannten Direktwahlfrage gegen die Amtsinhaberin Angela Merkel antreten lassen. Kaum Chancen in diesem Vergleich hat Sigmar Gabriel: Nur 31 Prozent der Befragten würden sich für ihn als Kanzler entscheiden, Angela Merkel käme in dieser Paarung auf 50 Prozent. Selbst unter den SPD-Wählern würde nur eine knappe Mehrheit von 54 Prozent für Gabriel stimmen, ein knappes Drittel (32 Prozent) für die CDU-Kandidatin Merkel.
Ganz anders sind die Kräfte-Verhältnisse, wenn Steinmeier oder Steinbrück antreten würden. Das Ergebnis ist in beiden Paarungen exakt das gleiche. Jeweils 43 Prozent würden sich für Merkel, jeweils 42 Prozent für Steinmeier oder Steinbrück entscheiden. Die beiden können nicht nur die SPD-Wählerschaft klarer hinter sich bringen - jeweils etwa zwei Drittel würden Steinmeier oder Steinbrück präferieren -, sie haben auch bessere Chancen in den anderen politischen Lagern.
Trotz dieser Zahlen fällt die Bilanz des Wahljahres für die SPD ziemlich gemischt aus. Sie hat bundesweit überhaupt nicht von der Schwäche der Regierungsparteien profitieren können - trotz zweier starker Spitzenpolitiker. Und bei den Landtagswahlen konnte sie sich auf der einen Seite eine absolute Mehrheit in Hamburg freuen, musste auf der anderen Seite in Baden-Württemberg das schlechteste Ergebnis der Landesgeschichte hinnehmen. Den Regierungswechsel dort verdankt sie allein den Grünen.
Wähler trauen Union trotz allem am meisten zu
Die Union hatte bei vier Landtagswahlen Verluste zu verzeichnen, sie hat bundesweit seit Jahresbeginn drei Punkte verloren und sie hat mit Merkel und Guttenberg zwei Spitzenpolitiker, die die Wähler enttäuscht haben. Trotzdem bleibt sie die politische Kraft, der die Befragten am meisten zutrauen. Egal ob es um Wirtschaftskompetenz geht, um die Schaffung von Arbeitsplätzen oder um die deutschen Interessen in Europa, die Kompetenzwerte für die CDU/CSU liegen immer noch auf dem hohen Niveau des Jahres 2009.
Führungswechsel bringt FDP keine Entlastung
Das sieht bei der FDP ganz anders aus. Von den Kompetenzwerten, die sie vor allem in der Wirtschafts-, Steuer- und Bildungspolitik hatte aufbauen können, ist kaum noch etwas übrig geblieben. Und zumindest kurzfristig haben der Führungswechsel und der Parteitag in Rostock nicht für einen Aufschwung gesorgt. Indiz dafür sind nicht nur die schwachen vier Prozent in der Sonntagsfrage, sondern auch die Bewertungen der FDP-Spitzenpolitiker. Sowohl der neue Parteichef Philipp Rösler mit 27 Prozent Zustimmung (-4) als auch der neue Fraktionschef Rainer Brüderle mit ebenfalls 27 Prozent (-6) haben seit Monatsbeginn wieder an Zustimmung verloren. Populärer ist allein Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (41 Prozent), die aber weniger bei den eigenen als bei den Wählern anderer Parteien Respekt genießt.
Grüne haben das beste Image
Wie groß das Problem der FDP und wie groß die Erfolge der Grünen sind, zeigen die Ergebnisse der Imagefragen, die wir gestellt haben. Beispiel Glaubwürdigkeit: 59 Prozent der Befragten halten die Grünen für eine glaubwürdige Partei (gefolgt von SPD 58, CDU 51, CSU 42), aber nur 21 Prozent denken das über die FDP. Nur die Linke schneidet mit 19 Prozent schlechter ab.
Ähnlich ist die Reihenfolge aber, wenn es um das Profil der Parteien geht. Konkret haben wir gefragt, wer die inhaltlichen Positionen der einzelnen Bundestagsparteien kennt. Auch hier belegen die Grünen mit 69 Prozent eindeutig den Spitzenplatz, (gefolgt von CDU 59, SPD 55 Prozent), die Positionen der FDP hingegen glauben nur 35 Prozent der Befragten zu kennen. Hier schneiden Linke und CSU mit 34 Prozent noch etwas schlechter ab.
Das Misstrauen ist gewaltig
All diese Ergebnisse – selbst, wenn sie für einige Parteien recht gut ausfallen – können aber nicht darüber hinweg täuschen, dass das Misstrauen gegenüber den politischen Parteien und Institutionen gewaltig ist. Nur weil die Bindung an die Parteien so stark abgenommen hat, sind die Verschiebungen im Parteiensystem, die wir sonst bei der Bundestagswahl beobachten, überhaupt möglich.
Die Stimmung insgesamt ist trotz des anhaltenden Aufschwungs, trotz sinkender Arbeitslosenzahlen weiter geprägt von Skepsis. Eine klare Mehrheit von 58 Prozent der Befragten ist der Ansicht, dass die Verhältnisse in Deutschland eher Anlass zur Beunruhigung geben, nur 38 Prozent sehen eher Anlass zur Zuversicht.
Und wenn es um die Funktionsfähigkeit des demokratischen Rechtsstaats geht, sind die Meinungen glatt gespalten. 51 Prozent sind "zufrieden mit der Art und Weise, wie die Demokratie in der Bundesrepublik funktioniert", aber 49 Prozent sind es nicht. Angesichts solcher Zahlen dürfte die Verunsicherung der Wählerinnen und Wähler anhalten – und damit die Bereitschaft immer mal wieder andere Parteien auszuprobieren.
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: 1002 Befragte
Erhebungszeitraum: 18. und 20. Mai
Fehlertoleranz: 1,4* bis 3,1** Prozentpunkte
* bei einem Anteilswert von 5%, ** bei einem Anteilswert von 50%