
Geplante Grundgesetzänderungen Darf der alte Bundestag über das Finanzpaket entscheiden?
Für das geplante Finanzpaket von Union und SPD soll das Grundgesetz geändert werden - und zwar noch vom Bundestag in der alten Zusammensetzung. Was sagen Verfassungsrechtler zu den Plänen?
Union und SPD haben bei ihren Sondierungen weitreichende Einigungen bekanntgegeben: Alle Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen von den Beschränkungen der Schuldenbremse ausgenommen werden. Für den Ausbau der Infrastruktur ist ein kreditfinanziertes Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro geplant. Zugunsten der Bundesländer soll die Schuldenbremse gelockert werden.
Erforderlich wären für diese Pläne verschiedene Änderungen des Grundgesetzes, die eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat erfordern. AfD und Linke kommen im neu gewählten Bundestag gemeinsam auf mehr als ein Drittel der Sitze und haben damit eine sogenannte Sperrminorität.
Union und SPD könnten daher im neuen Bundestag nur mit den Stimmen der Linken oder der AfD die Pläne realisieren. Das könnte schwierig werden. Deshalb soll noch der Bundestag in der alten Zusammensetzung die Grundgesetzänderungen beschließen. Da die FDP die Pläne von Union und SPD ablehnt, müssten die Grünen zustimmen.
Dabei stellen sich mehrere Fragen: Ist der alte Bundestag überhaupt noch handlungs- und beschlussfähig? Die Linke hatte bereits angedeutet, eventuell gegen Beschlüsse des alten Bundestages zu klagen. Wie groß wären die Erfolgsaussichten? Sind die Pläne von Union und SPD verfassungsrechtlich gesehen überhaupt tragfähig?
Zuständigkeit des alten Bundestages?
Die Wahlperiode des Bundestags dauert bis zur konstituierenden ersten Sitzung des neu gewählten Parlaments. Diese muss spätestens am 30. Tag nach der Bundestagswahl stattfinden. So steht es im Grundgesetz. In diesem Fall wäre das spätestens der 25. März. Zu dieser Sitzung lädt die noch amtierende Bundestagspräsidentin Bärbel Bas von der SPD ein.
Sie kann aber auch vorher noch einmal den alten Bundestag einberufen. Dort würden sich die Abgeordneten des bisherigen Bundestags treffen. Der alte Bundestag ist bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments nicht nur vorübergehend oder "geschäftsführend" im Amt.
"Es gibt keine parlamentsleere Zeit", so Hans-Detlef Horn, Jura-Professor an der Universität Marburg, gegenüber der ARD-Rechtsredaktion. "Der Wortlaut des Grundgesetzes ist in Artikel 39 Grundgesetz eindeutig und lässt keinen Spielraum für Interpretation." Soll heißen: Der alte Bundestag ist nach wie vor voll handlungs- und beschlussfähig.
"Bis zur letzten Sitzung alle Kompetenzen"
Anders sieht es der Würzburger Rechtsprofessor Kyrill-Alexander Schwarz. Der alte Bundestag dürfe den neuen nicht vor vollendete Tatsachen stellen, sagte er im ARD-Brennpunkt. "Wenn der jetzige Bundestag Maßnahmen ergreift wie ein dreistelliges Milliardenpaket, wofür es ja durchaus sachliche Gründe gibt, dann entfaltet das eine Bindungswirkung gegenüber einem späteren Parlament, das ja bereits gewählt worden ist. Diese Bindungswirkung für die Zukunft empfinde ich als überaus problematisch."
Mit dieser Ansicht ist Rechtsprofessor Schwarz aber in der Minderheit. Die meisten Rechtswissenschaftler halten den Noch-Bundestag weiter für uneingeschränkt zuständig und legitimiert. So auch der Heidelberger Verfassungsrechtler Hanno Kube: "Der Bundestag hat bis zu seiner letzten Sitzung alle ihm zustehenden Kompetenzen, einschließlich der Kompetenz zur verfassungsändernden Gesetzgebung", so Kube gegenüber der ARD-Rechtsredaktion.
Zur gleichen Einschätzung kommt der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Udo di Fabio. Solange sich der neue Bundestag nicht konstituiert habe, sei der alte in vollem Umfang handlungsfähig, einschließlich von Verfassungsänderungen, sagte di Fabio dem Sender Phoenix.
Klagemöglichkeit für die Linke?
Die Linke drohte bereits mit einer Klage gegen das Vorgehen von Union und SPD. Sie prüft, ob sie bei einem Beschluss durch den Noch-Bundestag klagen würde. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu so einem Fall gibt es noch nicht. Die Chancen dürften aber nicht sonderlich gut sein. Es ist schon fraglich, ob der Gang der Linken nach Karlsruhe überhaupt zulässig wäre.
Variante 1: Normenkontrollklage
Denkbar wäre, dass die Linke gemeinsam mit der AfD und vielleicht den Vertretern des BSW einen Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht einreicht. Unabhängig davon, ob das politisch gesehen überhaupt denkbar wäre: Voraussetzung für einen solchen Antrag wäre, dass mindestens ein Viertel der Bundestagsabgeordneten den Antrag in Karlsruhe einreicht. Dafür fehlt den Linken, der AfD und dem BSW im aktuellen Bundestag aber die notwendige Zahl der Mandate. Ob Linke und AfD sich dafür im neuen Bundestag zusammenfänden, dürfte politisch nahezu ausgeschlossen sein.
Variante 2: Organstreitverfahren
Denkbar wäre auch, dass die Linke versuchen wird, beim Bundesverfassungsgericht ein Organstreitverfahren einzuleiten. Das könnte sie mit einem Eilantrag verbinden, der darauf abzielt, ein Gesetzgebungsverfahren zu stoppen. Dafür müssten die Abgeordneten der Linken sich darauf berufen, dass sie in ihrer Rechtsstellung als Abgeordnete oder als Fraktion durch einen Beschluss des Bundestages in eigenen verfassungsmäßigen Rechten verletzt werden. Ein Antrag, der allgemein darauf abzielt zu prüfen, ob ein Gesetzesbeschluss verfassungskonform ist oder nicht, wäre in diesem Rahmen aber unzulässig.
Verfassungsrechtler Kube hat daher Zweifel, ob ein entsprechender Antrag zulässig wäre. "Eine einzelne Fraktion kann als solche im Wege des Organstreits nicht allgemein die Nichtigkeit eines vom Bundestag beschlossenen Gesetzes gegen den Bundestag geltend machen, auch nicht stellvertretend für den Bundestag." Aus diesem Grund bezweifelt auch Rechtsprofessor Hans-Detlef Horn von der Universität Marburg, dass ein Organstreitverfahren Erfolg hätte.
Sondervermögen und Reform der Schuldenbremse wohl verfassungskonform
Stellt sich noch die Frage, ob die Einrichtung eines Sondervermögens und die Pläne für künftige Verteidigungsausgaben gemessen an den Vorgaben des Grundgesetzes verfassungsrechtlich tragfähig sind. Hanno Kube, Experte auf dem Gebiet des Finanzverfassungsrechts, hält die Pläne für verfassungskonform. "Grundsätzlich ist das alles möglich und mit den grundgesetzlichen Anforderungen an Verfassungsänderungen vereinbar."
Interessant in diesem Zusammenhang: Ökonomen haben kritisiert, dass mit den neuen Schulden auf den Bund enorme Zinszahlungen zukommen dürften. Dies könnte die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit künftiger Gesetzgeber erheblich einschränken. Kube ist dennoch der Meinung, dass sich die Pläne in einem verfassungsrechtlich unbedenklichen Rahmen halten. Erst wenn die Zinslasten für den Bund so erdrückend würden, dass in Zukunft jeglicher Gestaltungsspielraum fehle, würde eine Grenze überschritten, so Kube. "Davon sind wir aber noch weit entfernt."