Gewalt gegen Frauen "Kein Moment, an dem ich nicht an sie denke"
Vor zwei Jahren wurde Johanna K. von einem Kollegen ermordet. Seit zwei Jahren trauert ihre Mutter. Am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen will sie auf das Thema aufmerksam machen.
Tanja K. wird diesen Tag niemals vergessen. Es ist der 09. November 2022. Sie hört, wie der Fahrstuhl in die vierte Etage kommt. Und dann sieht sie zwei Polizisten und einen Notfallseelsorger vor der Tür. Ihr wird klar, es muss etwas Schlimmes passiert sein. "Und dann habe ich da nur angefangen zu schreien. Ich habe so geschrien. Das werde ich nie vergessen. Das werde ich wirklich nie vergessen. Und diese Polizisten haben mir dann gesagt, dass sie mir mitteilen müssen, dass meine Tochter verstorben wäre. Aber mehr habe ich in dem Moment auch nicht erfahren. Also die haben nicht weitere Details genannt oder so", erinnert sich die 47-Jährige an den Moment, der ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt hat.
Der Täter ist ein Arbeitskollege. Stundenlang hatte er Johanna misshandelt, sie vergewaltigt und dann erwürgt. Anschließend hat er Portemonnaie und Pullover mitgenommen und ist geflüchtet. Die Polizisten stellen der Mutter viele Fragen. Als ein Kommissar zu ihr sagt, dass sie von einem Tötungsdelikt ausgehen, kann es Tanja gar nicht glauben. "Ich habe geantwortet, nein, das ist Quatsch, doch nicht meine Johanna. Und dann geht man nach Hause mit einem Notfallseelsorger, mit einem Kärtchen vom Weißen Ring. Und dann sitzt man da."
"Ich würde sie gerne in den Arm nehmen"
Seitdem vergehe kein Moment, an dem sie nicht an Johanna denke. Ihre Tochter sei allgegenwärtig. Fast jeden Tag besucht sie das Grab. "Hier bin ich Johanna nahe. Sie liegt hier. Und nur hier kann ich sie wirklich besuchen. Ich würde sie gerne in den Arm nehmen. Das geht natürlich nicht. Aber das ist ein ganz besonderer Ort für mich. Und deswegen ist mir sehr wichtig, dass ich häufig und viel hier bei ihr bin", erzählt Tanja.
Gewalt gegen Frauen nimmt in Deutschland weiter zu. Das zeigt das Lagebild "Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023", das unter anderem Bundesinnenministerin Nancy Faeser jüngst vorgestellt hat. Demnach wurden im Jahr 2023 180.715 Frauen erfasst, die Opfer Häuslicher Gewalt wurden. 5,6 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Bei Sexualstraftaten wurden 52.330 weibliche Opfer erfasst, eine Zunahme um 6,2 Prozent im Vergleich zum Jahr 2022. 938 Tötungsdelikte an Frauen wurden von der Polizei registriert, neun mehr als im Jahr zuvor.
Gebäude werden orange angestrahlt
Bundesweit werden heute öffentliche Gebäude orange angestrahlt, um die Menschen für die Lage zu sensibilisieren. Das Aktionsbündnis Orange Days Köln hat in der Kölner Innenstadt 155 orangene Schuhpaare aufgestellt. Sie stehen an diesem Tag symbolisch für die Frauen, die im vergangenen Jahr in Deutschland durch häusliche Gewalt ums Leben kamen.
"Wir haben steigende Zahlen seit Jahren und außerdem wissen alle, die in dem Bereich tätig sind, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist. Die Dunkelziffer ist enorm hoch beim Thema Gewalt gegen Frauen. Viele Frauen haben noch nie die Polizei gerufen, haben noch nie Anzeige erstattet", berichtet Magret Schnetgöke aus dem Alltag. Sie arbeitet für die Beratungsstelle FrauenLeben.
Zu wenige Beratungsangebote
Frauen sollen darauf aufmerksam gemacht werden, dass es Beratungsangebote gibt, wenn auch nicht genug, einfach weil der Bedarf immer größer wird. "Wir sind dazu übergegangen, dass wir die Dauer der Beratungsgespräche einkürzen müssen, um möglichst vielen Frauen mit den Anfragen gerecht zu werden. Das hat sich wirklich verändert in den letzten Jahren. Wir hätten das gerne anders, aber wir müssen da schauen, dass wir da wirklich weniger Beratungsgespräche pro Frau anbieten, um möglichst viele Frauen noch beraten zu können", so Schnetgöke.
Bei vielen Taten kennen sich Täter und Opfer. So auch im Fall von Johanna K. Beide arbeiteten gemeinsam am St. Rochus Hospital in Telgte. Noch vor der Beerdigung wird der Mörder von der Polizei überführt. Der Prozess ist für die Mutter ein wichtiger Meilenstein in der Aufarbeitung. Zum ersten Prozesstag geht Tanja noch mit großer Aufregung und großer Angst: "Man wusste, dass man mit dem Täter konfrontiert wird, der da ja sitzen wird. Und es war erschreckend, wie nah dieser Täter an uns, den Opfern, sitzt."
Urteil war große Erleichterung
Doch von Prozesstag zu Prozesstag wird Tanja mutiger. "Ich habe den Täter angeguckt und dieses feige Monster hat mich nicht angeguckt in dem Moment. Und da habe ich gemerkt, ich bin jetzt stärker hier gerade als du. Und das war für mich in dem Moment, als wenn 20 Johannas da gewesen wären, die mich gehalten haben. Dann habe ich das auch geschafft, diese Aussage zu machen und für Johanna in dem Moment stark zu sein", erzählt sie stolz.
"Als wir dann zurückgegangen sind und das Urteil verkündet wurde, da habe ich einmal laut aufgeschrien, weil diese Erleichterung, diese Spannung, die vorher da war, das hat sich dann so aufgelöst und ich habe geweint und wir sind uns alle kurz in die Arme gefallen, weil wir so froh waren, dass fast das mögliche Höchstmaß, es war ja lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld, dass das so verkündet wurde", erinnert sich die Mutter.
Dieses Urteil kann Johanna nicht zurückholen, aber es schafft ein wenig Gerechtigkeit. Kraft gibt der Mutter außerdem Johannas älterer Bruder. "Für den möchte ich auch weiter da sein und für den möchte ich auch stark sein."