Queere Menschen an Schulen Gemobbt und beleidigt

Stand: 30.05.2022 13:33 Uhr

Für queere Menschen ist die Schul- oft eine Leidenszeit. Laut einer Umfrage hat fast die Hälfte von ihnen Mobbing erlebt. Lehrer greifen bei Beleidigungen wie "Schwuchtel" teilweise nicht ein.

Von Von Klaas-Wilhelm Brandenburg und Alex Grantl, NDR 

Die Straßen von Altenkirchen im Westerwald sind noch leer, als Greta Janzen an einem Sonntagvormittag durch die Innenstadt geht. Greta ist 17, in der elften Klasse, will Abitur machen. Bis zum vergangenen Sommer ist sie auf die Realschule gegangen, dort war sie als lesbisch geoutet. Manche hatten damit ein Problem. "Es waren immer so kleine Sachen: In meiner Nähe wurde dann Schwuchtel gerufen oder Transe, ganz oft Transe. Das hat dann schon ein bisschen wehgetan teilweise", erzählt Greta.

Die Beleidigungen seien nicht ständig gekommen, "aber das war halt sowas, das war nie weg". Lehrerinnen und Lehrer hätten bei Beleidigungen wie "Schwuchtel" oder "Transe" kaum eingegriffen, bei Schimpfwörtern wie "Schlampe" dagegen schon, erzählt Greta

Und ich frag' mich dann, wo der Unterschied ist: Warum wird ein Mädchen bestraft, das eine andere Schlampe nennt, aber nicht eine andere Person, die mich gerade als Transe oder als Schwuchtel beleidigt?
Greta Janzen

Das mit den Beleidigungen sei an ihrer alten Schule nicht ständig gekommen, aber auch "nie weg" gewesen, erzählt Greta Janzen.

Fast die Hälfte wurde laut einer Umfrage gemobbt

Die EU-Grundrechteagentur FRA hat in Deutschland 2020 mehr als 16.000 queere Menschen nach ihren Erfahrungen befragt - also alle, die trans, intergeschlechtlich, nicht-binär oder nicht heterosexuell sind. 48 Prozent sagen demnach, sie seien in ihrer Schulzeit gemobbt worden. 46 Prozent sagen, sie hätten während ihrer Schulzeit nie erlebt, dass sie jemand unterstützt oder verteidigt hätte. Internationale Studien zeigen zudem, dass queere Jugendliche ein höheres Suizid-Risiko haben als nicht-queere junge Menschen.

"Gebunden an traditionelle Rollenklischees"

Gegenüber dem NDR sagen 13 der 16 Landesschülervertretungen und die Lehrer-Gewerkschaft GEW, an deutschen Schulen werde zu wenig für die Akzeptanz queerer Menschen getan. "Queerfeindlichkeit, Homophobie, Transphobie und Diskriminierung sind in der Schule leider immer noch Alltag", sagt Julius van der Burg von der Landesschüler*innenvertretung Nordrhein-Westfalen. Gerade in den unteren Klassenstufen sei das Thema stark tabuisiert und ein Coming-out ohne negative Konsequenzen oft nicht möglich. Nur drei Landesschülervertretungen konnten von keinen negativen Erfahrungen berichten.

Die GEW kritisiert, es werde nicht genug dafür getan, dass queere Jugendliche eine angstfreie Schulzeit haben können. Ein Teil des Problems sei, dass queere Themen selbst im Sexualkundeunterricht zu wenig vorkämen. "An den Schulen liegt immer noch der Fokus auf gegengeschlechtlicher heterosexueller Liebe, oftmals gebunden an traditionelle Rollenklischees", sagt Janina Glaeser aus dem GEW-Hauptvorstand.

Viele Landesschülervertretungen bemängeln zudem fehlendes Wissen und Verständnis bei Lehrkräften. "Leider ist es für viele Schülerinnen und Schüler lediglich Glück, auf engagierte Lehrkräfte zu treffen, die diese Themen ansprechen und sich für Vielfalt an ihrer Schule einsetzen", sagt die Sprecherin des bayerischen Landesschülerrats, Fabia Klein.

Lehrpläne nicht auf dem neuesten Stand

Die Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz, Katharina Swinka, sagt, Schülerinnen und Schüler bräuchten "vor allem in der Pubertät, in der Findungsphase Sichtbarkeit und sichere Anlaufstellen, um sich identifizieren zu können". Nicht nur Lehrer, auch Sozialarbeiter müssten Ansprechpartner und Vertrauensperson für queere Schüler sein.

Der Vorsitzende des Landesschülerrats Sachsen-Anhalt, Moritz Eichelmann, fordert "dringend Workshops, Fortbildungen und weitere Aufklärungskampagnen" für die Lehrkräfte. Zudem müssten Lehrpläne und Schulbücher auf den neuesten Stand gebracht werden.

Ein Sprecher der Kultusministerkonferenz (KMK) bezeichnet die Kritik als "Bewertungen zur Praxis in den Schulen, auf die die KMK nur schwer reagieren kann" und verweist an die einzelnen Länder. Spezielle Konzepte für queere Schülerinnen und Schüler kann er nicht nennen.

Deutschland nur auf Platz 15 in Europa

Grundsätzlich sind die Menschen in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten und Jahren laut Umfragen zwar toleranter geworden und auch die Rechtslage hat sich deutlich verbessert. Doch queere Menschen werden auch hier weiterhin benachteiligt.

Der Europäische Regenbogen-Index misst den Stand der gesetzlichen Gleichstellung von queeren Menschen in 49 Ländern. Deutschland liegt im Ranking aus diesem Jahr auf Platz 15 - hinter Staaten wie Montenegro, Malta, Dänemark und Frankreich.

Diskriminierung durch Transexuellengesetz

Ein diskriminierendes Gesetz in Deutschland ist etwa das Transsexuellengesetz von 1980. Demnach müssen trans Personen zwei Gutachten einholen und vor Gericht erscheinen, um ihren Vornamen zu ändern. Dabei würden immer wieder intimste Fragen gestellt, kritisieren Betroffene, zum Beispiel nach sexuellen Vorlieben. Laut Bundesfamilienministerium soll das Transsexuellengesetz bis Ende des Jahres abgeschafft werden.

Greta Janzen geht mittlerweile auf eine andere Schule - in Köln. Dort würden sich die Lehrer für queere Jugendliche einsetzen. "Auch der Slogan von unserer Schule ist: Schule ohne Homophobie, Schule mit Vielfalt", erzählt sie. In dieser Schule kann Greta sein, wer sie ist.

Hilfe bei Suizid-Gedanken
Sollten Sie selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. Bei der anonymen Telefonseelsorge finden Sie rund um die Uhr Ansprechpartner.

Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 www.telefonseelsorge.de

Telefonberatung für Kinder und Jugendliche: 116 111 - www.nummergegenkummer.de