Eine FFP2-Maske liegt auf dem Boden.
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Corona-Masken-Beschaffung Rechnungshof zweifelt an Qualitätstests

Stand: 09.07.2024 06:10 Uhr

"Völlig aus dem Ruder gelaufen" seien die Maskeneinkäufe in der Pandemie. Ein Prüfbericht des Bundesrechnungshofs hegt außerdem Zweifel, ob die Qualität der Schutzmasken richtig überprüft wurde.

Von Iris Sayram und Nadine Bader, ARD-Hauptstadtstudio

Der Verdacht wiegt schwer. Anfang 2021 kam es in einer Pflegeeinrichtung bei Neumünster in Schleswig-Holstein zu einem Corona-Ausbruch. Es starben fünf Bewohner. Die Einrichtung hatte von der Bundesregierung sogenannte partikelfiltrierende Halbmasken (PfH) geschenkt bekommen - und zwar vom Modell KN95 aus China. Sie galten als geprüft, doch einige Masken wiesen deutliche Mängel auf.

Die Staatsanwaltschaft in Kiel ermittelte wegen des Verdachts auf einen Verstoß gegen das Medizinproduktegesetz. Doch sie konnte nicht zweifelsfrei ermitteln, ob fehlerhafte Masken des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) wirklich ursächlich für die Infektionen gewesen sein könnten - das Verfahren wurde eingestellt.

Doch auch das Gesundheitsministerium in Kiel hatte Bedenken und stellte damals im Februar 2021 eine offizielle Warnung auf seine Seite: Nicht benutzen! Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die entsprechenden Masken aufgrund deutlicher Mängel ihre Funktion nicht erfüllen und dadurch die Übertragung einer Infektion begünstigen.

Der damalige Gesundheitsminister von Schleswig-Holstein, Heiner Garg, erinnert sich an eine chaotische Zeit Anfang der Pandemie, als Masken fehlten und Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser sich verzweifelt an die Länder wandten. "Wir haben das natürlich an den Bund weitergeben", sagt der FDP-Politiker dem ARD-Hauptstadtstudio.

Der Auftrag an den damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sei gewesen: "Besorg uns, was Du kriegen kannst. Das muss man fairerweise dazusagen. Aber sowie diese Mangelsituation behoben war, da muss man natürlich astreines Material unters Volk bringen."

Kein zweifelsfrei belegbarer Zusammenhang

In der Pflegeeinrichtung bei Neumünster war das offenbar nicht so. Ein tragischer Fall, der das Vertrauen in die Masken des Bundes miterschütterte. Vor allem, weil das Gesundheitsministerium ein knappes Jahr vorher die Standards für die Qualitätsprüfung für importierte Schutzmasken herabsenkte - zum Beispiel, was den Filterdurchlass der Masken betrifft.

Ein unveröffentlichter Bericht des Bundesrechnungshofs, der dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, zeichnet die Vorgänge von damals im Bundesgesundheitsministerium nach. Demnach hatte das Ministerium im April 2020 entschieden, den Qualitätssicherungsprozess für importierte Schutzmasken zu verkürzen, um Zeit zu sparen. Die Rede war von einer "Pandemie-Krücke". 

War dies zu Beginn der Pandemie aus Sorgen vor einer Mangelversorgung mit Schutzausrüstung vertretbar, hätte das Ministerium diese Praxis aber ab Juni 2020 beenden müssen, so der Bundesrechnungshof.

Wörtlich heißt es in dem Bericht: "Es ist aus Sicht des Bundesrechnungshofes unverständlich und unzweckmäßig, dass das BMG an verkürzten Prüfverfahren auch noch festhielt, nachdem die befürchtete Versorgungskrise in der Akutmedizin im Sommer 2020 abgewendet worden war." Das Ministerium begann ab Juli 2020 mit Planungen, um mehr als 30.000 stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen mit den entsprechenden Schutzmasken im Winter 2020/2021 zu beliefern. Sicherheitshalber schloss das Gesundheitsministerium jegliche Haftung aus.

Riesiger Vertrauensverlust

Grünen-Politikerin Paula Piechotta kann das nicht nachvollziehen. Sie hat während der Corona-Pandemie als Ärztin im Universitätsklinikum in Leipzig gearbeitet. Die Haushaltspolitikerin sagt dem ARD-Hauptstadtstudio, "dass das vor allem zu einem riesigen Vertrauensverlust in der Bevölkerung geführt hat, was einer der Gründe ist, warum Milliarden von Masken liegen geblieben sind und jetzt teuer verbrannt werden müssen".

FDP-Politikerin Kristine Lütke sieht das ähnlich. Ihre Familie betreibt in der Nähe von Nürnberg selbst ein Pflegeheim. Der Beginn der Corona-Pandemie sei für Politik und Gesellschaft eine Ausnahmesituation gewesen, die schnelle Entscheidungen erfordert habe, sagt die FDP-Gesundheitspolitikerin. Aber: "Spätestens ab Juni 2020 hätte das Bundesgesundheitsministerium zu den regulären Prüfverfahren zurückkehren müssen", so Lütke.

Im Winter 2020 kamen im Bundesgesundheitsministerium dann offenbar selbst Zweifel auf, ob die so geprüften Masken überhaupt in den Verkehr gebracht werden können. Eine nachträgliche Änderung der Rechtslage sollte das beheben.

Der Rechnungshof erläutert dazu auf Nachfrage: "Ziel der Rechtsänderungen war, nachträglich rückwirkend die Verkehrsfähigkeit der vom BMG beschafften und nach seinen eigenen Kriterien geprüften Masken sicherzustellen." Das heißt, das Ministerium wollte sich nachträglich absichern, dass die Masken sicher genug waren, um verteilt zu werden.

Diesen Versuch, die Rechtslage nachträglich zu ändern, bezeichnet FDP-Politikerin Lütke als "besonders erschreckend". Auch beim Bundesarbeitsministerium gab es damals Bedenken. Am Ende einigte sich die damalige Große Koalition lediglich darauf, die vom BMG geprüften Masken in die Nationale Reserve Gesundheitsschutz aufzunehmen.

Im Ergebnis wurden laut Rechnungshof die mit Abstand teuersten Masken aus Importen überwiegend nicht verwendet. Sämtliche nicht CE-zertifizierte Importmasken sind inzwischen, wenn nicht schon geschehen, zur Vernichtung vorgesehen.

Gesundheitsministerium weist Kritik zurück

Das Bundesgesundheitsministerium hat dem Bundesrechnungshof eine falsche Darstellung vorgeworfen und zweifelt an der grundsätzlichen Zuständigkeit der Behörde, diese Fragen prüfen zu dürfen. Gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio beruft sich das Ministerium auf ein "eigenständiges Prüfverfahren". Das habe man "mehr als 9.000-fach angewandt, um einen hohen Infektionsschutz der beschafften medizinischen Schutzmasken sicherzustellen". Dies sei auch gelungen.

Auf Nachfrage bleibt der Rechnungshof bei seiner Darstellung: "Das Prüfverfahren des BMG war nicht geeignet, rechtliche Zweifel an der Zulassung der Masken auszuräumen." Der Sachverhalt war dem BMG zur Stellungnahme übermittelt worden. Das Ministerium konnte die Prüferinnen und Prüfer aber nicht mit neuen Tatsachen überzeugen.

Schleswig-Holstein hatte Masken, die der Bund lieferte, übrigens geprüft und den Großteil aufgrund von Qualitätsmängeln zurückgesendet: 3,5 Millionen FFP2-Masken wurden vom Bundesgesundheitsministerium geliefert, 3,2 Millionen FFP2-Masken ungenutzt zurückgeschickt. Auch sie dürften längst vernichtet sein.

Eva Ellermann, ARD Berlin, tagesschau, 09.07.2024 06:22 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 09. Juli 2024 um 07:37 Uhr.