Gesetz gegen digitale Gewalt Mit Accountsperren gegen Hass im Netz
Wer wiederholt andere im Internet schwerwiegend persönlich angreift, muss mit schärferen Konsequenzen rechnen. Gerichte sollen Social-Media-Konten sperren lassen können - so plant es das Bundesjustizministerium.
Morddrohungen auf Twitter, Hasspostings auf Facebook & Co., Accounts, die oft auch anonym gegen Menschen hetzen, sie beschimpfen, beleidigen - trauriger Alltag in sozialen Netzen. Zwar müssen rechtswidrige Inhalte laut Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) von den Plattformen gelöscht oder gesperrt werden. Aber wenn es darum geht, solche Accounts vom Netz nehmen zu lassen, sind Betroffene auf das Gutdünken der Techkonzerne angewiesen, die einen aggressiven Nutzer vielleicht sperren, vielleicht aber auch nicht.
Die Ampelregierung will das ändern. So ist ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag von 2021 ein "Gesetz gegen digitale Gewalt", das nicht nur "Lücken bei Auskunftsrechten" für Betroffene abbauen, sondern auch "richterlich angeordnete Accountsperren" ermöglichen soll. Nun hat das Bundesjustizministerium (BMJ) Eckpunkte für ein solches Gesetz erarbeitet, die dem ARD-Hauptstadtstudio exklusiv vorliegen.
Accountsperre per Gericht
Im Mittelpunkt steht die Idee, dass Menschen, die in den sozialen Netzwerken angegriffen werden, "unter gewissen Voraussetzungen" per Gericht eine Accountsperre verlangen können. Dieses Vorhaben richtet sich gegen "notorische Rechtsverletzer im digitalen Raum" und soll besonders in solchen Fällen helfen, in denen nicht klar ist, wer hinter einem bestimmten Social-Media-Profil steckt. Eine solche Sperre muss "verhältnismäßig" sein und es muss um "schwerwiegende Persönlichkeitsverletzungen" gehen. Was das genau bedeutet, muss dann allerdings wohl das jeweilige Gericht entscheiden.
Außerdem soll eine Accountsperre nur erfolgen, wenn andere Möglichkeiten nicht ausreichen - etwa die Löschung eines Posts - und "Wiederholungsgefahr" besteht. Ein Accountinhaber soll von der jeweiligen Plattform auf ein Sperrersuchen hingewiesen werden und Gelegenheit zur Stellungnahme haben. Und ein Profil soll "nur für einen angemessenen Zeitraum" gesperrt werden können.
Offene Fragen
Ulf Buermeyer hofft, dass das im Extremfall auch "dauerhaft" bedeuten könnte. Der Jurist - selbst eigentlich Richter, aktuell aber hauptamtlich Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) - begrüßt die Ansätze des Justizministeriums grundsätzlich, hat aber Fragezeichen. Seine Organisation hat schon vor einiger Zeit Vorschläge zu Accountsperren gemacht und will demnächst einen eigenen Gesetzentwurf zum Thema vorstellen.
Dass nun ein Täter digital erst mehrfach aktiv sein muss, damit eine Sperre in Betracht kommt, wie es das BMJ plant, kann Buermeyer nicht nachvollziehen: "Warum soll man einmal jemanden beleidigen dürfen?" In der analogen Welt gebe es bei Fehlverhalten auch sofort Sanktionen, die Verhältnismäßigkeit könne man über die Dauer der Accountsperre regeln. "Wer also zum ersten Mal auffällig wird, wird beispielsweise nur kurz gesperrt." In jedem Fall sollte aus Sicht von Buermeyer eine Straftat im Netz - zum Beispiel eine strafbare Beleidigung - reichen, um einen Account zumindest zeitweise zu sperren.
Zudem gehe es um eine "generalpräventive Wirkung". Für Opfer digitaler Gewalt sei eigentlich grundsätzlich das bloße Löschen einer Schmähäußerung nicht ausreichend, weil sie sich über Netz fast immer schon weit verbreitet habe. Wichtig sei es, Täter generell abzuschrecken, dabei könnten Accountsperren eine zentrale Rolle spielen - "damit sich das rumspricht", betont Buermeyer.
Dass eine Accountssperre, so wie sie das BMJ aktuell andenkt, letztlich wohl nur dann greifen würde, wenn über ein Profil mehrfach eine bestimmte Person attackiert wird - etwa bei Fällen von hartnäckigem digitalem Stalking oder Cybermobbing - kritisiert auch Josephine Ballon. Sie ist die Leiterin der Rechtsabteilung von HateAid, einer Organisation, die Menschen unterstützt, die von digitaler Gewalt betroffen sind. Accounts, die ihren Hass auf verschiedene Opfer verteilen oder ganze Gruppen verunglimpfen und Volksverhetzung betrieben, würde man mit den so konzipierten Sperren nicht erreichen. Solche Fälle seien aber, so Ballon, im digitalen "Alltag" eher die typischen.
Sie ist trotzdem froh, dass nun Bewegung in die Gesetzgebung kommt. Auch weil die Eckpunkte nicht nur die Accountsperre enthalten, sondern außerdem vorsehen, dass rechtliche Hürden für Betroffene abgebaut werden sollen, wenn sie die Identität desjenigen erfahren wollen, der ein Hassposting verfasst hat. Das sei wichtig, um die Täter zum Beispiel auf Unterlassung oder Schadensersatz verklagen zu können.
Konzerne sollen Nutzungsdaten herausgeben müssen
So sollen laut den BMJ-Eckpunkten künftig explizit Nutzungsdaten wie die IP-Adresse herausgegeben werden müssen - und damit nicht nur die Netzkonzerne, sondern auch Messengerdienste und Telekommunikationsunternehmen in die Pflicht genommen werden - um nachzuvollziehen, wem eine IP-Adresse zugeordnet werden kann. Das soll allerdings nur auf Anordnung eines Gerichts erfolgen. "Auch damit könnte man Verantwortliche nicht in jedem Fall hundertprozentig ermitteln, aber es würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen," so HateAid-Juristin Ballon, die ebenfalls auf die abschreckende Wirkung setzt.
Das BMJ schlägt vor, dass für diese Auskunftsverfahren keine Gerichtskosten anfallen sollen. Ein wichtiger Schritt, findet Ballon, der aber nicht ausreiche. Denn der juristische Weg, sich gegen Hassrede im Netz und die Täter zu wehren, sei weiterhin teuer. Zwar wäre es schon eine Erleichterung, wenn die Gerichtskosten wegfielen. Es blieben aber Anwaltskosten und hohe Streitwerte, die es für Betroffene und die sie unterstützenden Organisationen schwer machten, sagt Ballon. Vor allem wenn man nicht rauskriege, wer hinter einem Schmäh-Account stecke. Accountsperren sollten daher aus ihrer Sicht mit Auskunftsverfahren kombiniert werden.
Auch GFF-Chef Buermeyer plädiert dafür, dass es für Opfer digitaler Gewalt günstiger werden muss, Auskünfte zu erstreiten oder eben in Zukunft Accountsperren zu beantragen. Aus seiner Sicht müssten die Plattformen für die Kosten solcher Verfahren aufkommen, weil "sie schließlich auch mit negativen Inhalten viel Geld verdienen". Zudem sollte es möglich sein, dass nicht nur Betroffene persönlich vor Gericht gehen, sondern - ähnlich wie bei Verbandsklagen - auch Organisationen wie HateAid zugelassen sein sollten, um Auskünfte und Sperren einzuklagen. Das ist in den Eckpunkten bislang nicht erwähnt. Für die Fachleute ist daher entscheidend, wie ein möglicher Gesetzentwurf am Ende ausgestaltet ist.
"Zustellungsbevollmächtigter" im Inland
Die Vorschläge des Justizministeriums enthalten aber noch eine Änderung, die Ballon und Buermeyer schon jetzt explizit begrüßen: Soziale Netzwerke sollen auch weiter verpflichtet sein, einen "Zustellungsbevollmächtigten" im Inland zu haben, selbst wenn der europäische "Digital Services Act" das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz und dessen Regelungen demnächst ersetzt.
Dabei geht es nicht nur wie bisher um die Post von deutschen Gerichten an die Plattformen, sondern künftig auch um außergerichtliche Schreiben. Das heißt, Organisationen wie HateAid könnten sich bei juristischen Auseinandersetzungen direkt an eine deutsche Adresse von Twitter, Facebook & Co. wenden und müssten nicht den Umweg über die europäischen Hauptsitze der Techkonzerne in Irland nehmen. Das würde, so Ballon, die Abläufe deutlich vereinfachen und beschleunigen.