Christian Lindner (links) und Christian Dürr
analyse

Wahlkampf Wie die Migrationsdebatte die FDP aufwühlt

Stand: 04.02.2025 17:41 Uhr

Die FDP startet noch einmal einen Versuch, eine gemeinsame Abstimmung zur Migrationspolitik auf den Weg zu bringen. Es geht dabei um mehr als Asylpolitik. In der Partei selbst rumort es.

Von Lissy Kaufmann, ARD-Hauptstadtstudio

Noch hat FDP-Fraktionschef Christian Dürr nicht aufgegeben: Am Montagabend startete er einen neuen, in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich letzten Anlauf, um zu retten, was zu retten ist: in Sachen Migration, in Sachen FDP - und in Sachen Christian Lindner.

In einem Brief an die Kollegen von SPD, Union und Grünen schlägt Dürr vor, in der letzten Sitzungswoche vor der Wahl doch noch einen, wie er es nennt, "Migrationspakt der Mitte" zu schmieden. Soll heißen: das von der Union vorgeschlagene "Zustrombegrenzungsgesetz", das vergangene Woche im Bundestag scheiterte, in das Gesetz zur Reform des Europäischen Asylsystem (GEAS) zu integrieren. Und dieses Gesetz dann gemeinsam auf den Weg zu bringen. "Die Freien Demokraten verstehen sich als Brückenbauer", heißt es in dem Schreiben.

Abstimmung spaltete die Partei

Dürr wiederum dürfte sich vor allem als Rettungshelfer der FDP verstehen - und von Parteichef Lindner. Nicht nur, dass die Partei in den Umfragen knapp unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde dümpelt und um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen muss. Sie ist seit vergangener Woche - seit der Abstimmung zur Migration im Bundestag gemeinsam mit der AfD - auch gespalten. Mehrere Abgeordnete haben Christian Lindner die Gefolgschaft verweigert. In der Partei rumort es.

Rund ein Viertel der 90 Abgeordneten hat am Freitag dem Gesetzentwurf der Union nicht zugestimmt: Zwei stimmten mit Nein, die anderen haben sich entweder enthalten oder sind der Abstimmung ferngeblieben. Darunter sind bei Weitem nicht nur Hinterbänkler, sondern auch der parlamentarische Geschäftsführer Johannes Vogel und Fraktionsvize Konstantin Kuhle.

Beide werden eher einem linksliberalen Flügel innerhalb der Partei zugeordnet. Also einem Flügel, dem Lindner nicht angehört. Bemerkenswert ist dabei: Vogel werden Ambitionen auf das Amt des Parteichefs nachgesagt - zumindest ganz grundsätzlich. Konkret hat er sich bislang nicht aus der Deckung gewagt.

Lindner steht unter Druck

Was treibt die Abweichler an? Einige, so heißt es, hätten sich vom Kurs von Parteichef Lindner überrumpelt gefühlt, der früh öffentlich angekündigt hatte, die FDP werde dem Gesetzentwurf der Union zustimmen. Man hätte sich vorher eine Debatte gewünscht, innerhalb der Fraktion - nicht in der Sache, aber darüber, ob es wirklich richtig ist, gemeinsam mit der AfD zuzustimmen. 

"Es gibt die Erwartung, mit eingebunden zu werden. Man will keine Alleingänge von Christian Lindner mehr", beobachtet die Politikwissenschaftlerin Claudia Ritzi von der Universität Trier. "Gerade in diesen schwierigen Zeiten sagen sich Abgeordnete, dass es hier um vieles geht, nicht nur darum, was Christian Lindner möchte."

Lindner steht unter Druck. Zwar hat sich die Partei auch nach dem von Lindner mit verursachten Ampel-Aus geschlossen hinter ihn gestellt. Er blieb zunächst der unangefochtene Parteichef, dem man es ja verdankte, nach dem Wahldebakel 2013 überhaupt wieder in den Bundestag einzuziehen. Doch das Konzept der FDP als Ein-Mann-Partei scheint nicht mehr unangefochten.

Politikbeobachterin Ritzi ist überzeugt: "Lindner ist angeknackst, das darf man nicht unterschätzen. Hinter den Kulissen, bei denjenigen, die jetzt um ihr Bundestagsmandat bangen, fragt man sich, ob Lindners wenig kommuniziertes Vorgehen richtig war."

Interner Chat an die Presse geleakt

Dass man das Abweichen einiger Abgeordneter am Freitag auch innerhalb der FDP durchaus als Lindner-Kritik versteht, zeigt die Reaktion von Wolfgang Kubicki. In einem internen FDP-Chat soll er geschrieben haben, dass ja Vogel, Kuhle und andere kritische Stimmen die Wahlkampfführung übernehmen könnten. Er würde dann schon mal sein Büro aufräumen. Das soll heißen: Dann wird es die FDP bei der Bundestagswahl sicher nicht über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Besonders bemerkenswert ist, dass dieser interne Chat an die Presse geleakt und der Streit damit öffentlich gemacht wurde.

All das sorgt innerhalb der Partei für Unruhe - und gibt nach außen kein gutes Bild ab. Dürrs Versöhnungsversuch soll jetzt Zusammenhalt demonstrieren - innerhalb des demokratischen Lagers und innerhalb der Partei. Seine Botschaft: In der Sache lagen wir von Anfang an richtig. Jetzt wollen wir es auch noch mit den richtigen Partnern schaffen. Ein Schritt, den dann alle Abgeordnete mittragen könnten.

Dürr sendet aber auch eine Botschaft nach außen. "Es ist der Versuch, positiv in dieser Causa aufzufallen, in der die CDU bislang kritisch diskutiert wird. Und in der SPD und Grüne zumindest das Image nicht loswerden können, diejenigen zu sein, die nicht lösungsorientiert arbeiten", analysiert Ritzi.

"Eine Schicksalswahl für die FDP"

Gleichzeitig versucht die FDP einen Spagat: Zwar will man jetzt Brücken bauen. Die Brücke zu den Grünen will man aber langfristig einreißen: Eine Koalition mit ihnen hat Lindner am Wochenende ausgeschlossen. Möglicherweise auch eine Machtdemonstration gegenüber alle jenen im linksliberalen Flügel der FDP, die einer Koalition mit den Grünen grundsätzlich immer offen gegenüber standen.

Geht dieser Versuch auf? Am Sonntag treffen sich die Delegierten beim Bundesparteitag in Potsdam - eine Chance, noch einmal Zusammenhalt zu demonstrieren. Für Lindner und seine FDP geht es um viel. Wenn sie es nicht wieder ins Parlament schaffen, scheint eine offene Personaldiskussion unausweichlich. Politikwissenschaftlerin Ritzi sagt: "Für Lindner und die FDP wird es eine Schicksalswahl."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 04. Februar 2025 um 17:02 Uhr.