
Union und SPD Wie die Koalitionsverhandlungen ablaufen
256 Frauen und Männer in 16 Arbeitsgruppen: CDU, CSU und SPD starten heute ihre Koalitionsverhandlungen. Wer verhandelt mit wem? Und welche Punkte sind besonders umstritten?
Wenn die Verhandlungsgruppen von Union und SPD heute in die Koalitionsgespräche starten, fehlt eine entscheidende Grundlage: Viel Geld, das zwar geplant, aber noch nicht gesichert da ist. Der Bundestag berät heute in erster Lesung über das milliardenschwere Finanzpaket zu Verteidigung und Infrastruktur, entschieden wird voraussichtlich am kommenden Dienstag.
Trotzdem sollen die Koalitionsverhandlungen plangemäß anfangen - Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz will an seinem Zeitplan, dass eine Regierung bis Ostern steht, festhalten. Was sind die Knackpunkte und wer verhandelt sie? Ein Überblick:
Migrationspolitik
Die Union drängte bei dem Thema auf spürbare Verschärfungen. Hauptstreitpunkt: Asylsuchende sollen zukünftig an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden können. Hier gibt es zwischen Unionsparteien und SPD noch unterschiedliche Auslegungen des Sondierungspapiers: Wie ist eine Zurückweisung "in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn" gemeint? Reicht es, diese zu informieren - oder darf nur zurückgewiesen werden, wenn diese zustimmen? Österreich etwa hat hier schon eine Absage erteilt. CDU-Politiker Jens Spahn sagte daraufhin, man solle sich nicht von den Nachbarländern abhängig machen und notfalls auch gegen deren Willen handeln. SPD-Vorsitzende Saskia Esken widersprach prompt.
Auch bei der Ausgestaltung des gemeinsam verabredeten Ziels, alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergreifen zu wollen, um die irreguläre Migration zu reduzieren, sind bei den Koalitionsverhandlungen ähnliche Differenzen zu erwarten.
Energie- und Klimapolitik
Union und SPD sind sich einig darin, den Strom billiger machen zu wollen und die erneuerbaren Energien weiter auszubauen - am Ziel, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen, wollen die Sondierungspartner festhalten.
Im Sondierungspapier sind zwar die Ziele wie "dauerhaft niedrige und planbare, international wettbewerbsfähige Energiekosten und ein zügiger Netzausbau festgeschrieben, aber nicht der Weg dahin.
Experten weisen darauf hin, dass der Strombedarf gerade auch durch Klimaschutz-Politik wie die Förderung von E-Autos, der Wärmepumpe und von grünem Wasserstoff weiter ansteigen wird. Kritik: Es fehle im Sondierungspapier die nötige Dringlichkeit für den Ausbau der Stromnetze und Speicher, auch wenn sie erwähnt sind.
Bürgergeld
Das Bürgergeld war ein Herzensprojekt der SPD unter Bundeskanzler Olaf Scholz - um sich von ihrer Hartz-IV-Reform zu befreien. Nun will vor allem die Union das Bürgergeld in seiner jetzigen Form ersetzen durch eine sogenannte "Neue Grundsicherung" für Arbeitssuchende: Empfänger von Leistungen sollen schärfer sanktioniert werden, wenn sie eine Arbeit verweigern. Und: "Großangelegter Sozialleistungsmissbrauch soll beendet werden."
Auf Fördern und Fordern konnten sich Union und SPD im Grundsatz schon in früheren Zeiten verständigen. Doch wie scharf etwa die Sanktionen ausfallen werden, wenn Menschen, die Arbeiten können "wiederholt zumutbare Arbeit verweigern", muss noch zwischen den beiden Parteigruppen ausverhandelt werden: Etwa, ob es zum vollständigen Leistungsentzug kommen kann, wofür Merz im Vorfeld geworben hatte.
Rente
In der Rentenpolitik dürfte es harmonischer zugehen. Man hat sich gemeinsam vorgenommen, die betriebliche Altersvorsorge zu stärken und die private Altersvorsorge zu reformieren sowie den Übergang von Beruf zur Rente auf Basis von Freiwilligkeit zu flexibilisieren. Weder Union noch SPD planten vorab eine große Rentenreform.
Hier warfen viele Expertinnen und Experten beiden Seiten währen der Sondierungen bereits vor, das Thema mit zu wenig Nachdruck zu bearbeiten. Doch auch hier gilt: Ein Konflikt ist an dieser Stelle nicht zu erwarten. Auch weil beide wissen, wer sie hauptsächlich wählt.
Fraglich wird sein, ob die von der CSU eingebrachte Ausweitung der Mütterrente auch im Koalitionsvertrag steht, sollte das geplante Finanzpaket keine Zweidrittelmehrheit im Bundestag bekommen.
Diese Arbeitsgruppen verhandeln den Koalitionsvertrag
Neben der Runde der Parteivorsitzenden sowie je einer Verhandlungs- und einer Steuerungsgruppe haben sich 16 Arbeitsgruppen gebildet. In ihnen sitzen je sechs Vertreter der CDU, drei der CSU und sieben der SPD. Insgesamt arbeiten damit 256 Politikerinnen und Politiker in den Arbeitsgruppen am künftigen Koalitionsvertrag für Schwarz-Rot. Ein Überblick zu den Arbeitsgruppen und ihrer Leitung:
Arbeitsgruppe | Vorsitz |
---|---|
Innen, Recht, Migration und Integration | Günter Krings (CDU), Andrea Lindholz (CSU), Dirk Wiese (SPD) |
Wirtschaft, Industrie, Tourismus | Jens Spahn (CDU), Hansjörg Durz (CSU), Alexander Schweitzer (SPD) |
Digitales | Manuel Hagel (CDU), Reinhard Brandl (CSU), Armand Zorn (SPD) |
Verkehr/Infrastruktur, Bauen/Wohnen | Ina Scharrenbach (CDU), Ulrich Lange (CSU), Klara Geywitz (SPD), Sören Bartol (SPD) |
Arbeit und Soziales | Carsten Linnemann (CDU), Stephan Stracke (CSU), Katja Mast (SPD) |
Gesundheit, Pflege | Karl-Josef Laumann (CDU), Stephan Pilsinger (CSU), Katja Pähle (SPD) |
Familie, Frauen, Jugend, Senioren, Demokratie | Silvia Breher (CDU), Susanne Hierl (CSU), Serpil Midyatli (SPD) |
Bildung, Forschung und Innovation | Karin Prien (CDU), Katrin Staffler (CSU), Oliver Kaczmarek (SPD) |
Bürokratierückbau, Staatsmodernisierung | Philipp Amthor (CDU), Daniela Ludwig (CSU), Sonja Eichwede (SPD) |
Kommunen, Sport, Ehrenamt | Christina Stumpp (CDU), Stephan Mayer (CSU), Thorsten Kornblum (SPD) |
Ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung, Umwelt | Steffen Bilger (CDU), Artur Auernhammer (CSU), Franziska Kersten (SPD) |
Außen, Verteidigung, Entwicklung, Menschenrechte | Johann Wadephul (CDU), Florian Hahn (CSU), Svenja Schulze (SPD) |
Europa | Patricia Lips (CDU), Alexander Radwan (CSU), Katarina Barley (SPD) |
Kultur und Medien | Christiane Schenderlein (CDU), Volker Ullrich (CSU), Carsten Brosda (SPD) |
Klima und Energie | Andreas Jung (CDU), Anja Weisgerber (CSU), Olaf Lies (SPD) |
Haushalt, Finanzen und Steuern | Mathias Middelberg (CDU), Florian Oßner (CSU), Dennis Rohde (SPD) |
Eine separate Arbeitsgruppe soll sich außerdem um die Arbeitsweise der Bundesregierung und der Fraktionen sowie um das Thema Wahlrecht kümmern.
"Keine Statements, keine Selfies"
Bei den Koalitionsverhandlungen soll Stillschweigen gewahrt werden, was die Öffentlichkeit angeht. Die Spitzen von Union und SPD haben den Mitgliedern der Arbeitsgruppen strenge Vorgaben gemacht: "Keine Statements, keine Pressekonferenzen, keine Kommunikation von Zwischenergebnissen, keine Selfies etc.", heißt es in einer "Handreichung zu den Koalitionsverhandlungen 2025", das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt.
Mit Informationen von Martin Polansky, ARD-Hauptstadtstudio