Scholz und der Osten Wo der Kanzler einen schweren Stand hat
Migration, Ukraine, Intel-Milliarden, Stress in der SPD und Zugewinne für Populisten - in Ostdeutschland hatte es der Kanzler nie leicht. Den Wahlkampf soll das trotzdem nicht belasten.
Vor wenigen Tagen hatte sich Olaf Scholz noch einmal Rückhalt geholt. Die Brandenburger SPD nominierte ihn am Samstag als ihren Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl.
Scholz hatte eine typische Scholz-Rede gehalten. "In einer sehr bedrängten Zeit", gehe es darum, "Dinge zu tun, die notwendig sind für die Sicherheit unseres Landes, und gleichzeitig Zusammenhalt und Modernisierung weiter zusammenzubringen", sagte er in Potsdam.
In der Stadt hat Hamburgs früherer Erster Bürgermeister auch seinen Wahlkreis. Wer Olaf Scholz nach Ostdeutschland fragt, den verweist er zunächst darauf. Doch gerade hier, im Osten, zeigten sich die Probleme seiner Kanzlerschaft besonders deutlich.
Asylwende in der Wahlheimat
100 Kilometer weiter östlich von Potsdam liegt der Grenzübergang zwischen der polnischen Stadt Slubice und Frankfurt (Oder). Erst auf anhaltenden Druck der Länder, allen voran dem SPD-regierten Brandenburg, hatte der Bund hier im Oktober 2023 stationäre Grenzkontrollen eingeführt.
Die Ampel war angetreten, um Deutschland zu einem modernen Einwanderungsland zu machen. Die neue Asylkrise adressierte sie erst spät. Irgendwann sagte Scholz Sätze wie: "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben." Es war eine Kehrtwende.
Intel-Flop droht
Ein Acker in Sachsen-Anhalt taugt wiederum zum Symbol für Scholz' Wirtschaftspolitik. Bei Magdeburg will der US-Chipkonzern eine milliardenteure Fabrik hochziehen. Ein Plan wie gemacht für den Kanzler. Scholz wollte Deutschlands Wirtschaft umbauen. Der Osten sollte von der "verlängerten Werkbank" zu einem "hochinnovativen Impulsgeber" werden.
Im Juni 2023 besiegelte Scholz mit Intel-Chef Pat Gelsinger die Förderung der Fabrik. Intel hatte zuvor herausgeschlagen, dass der Bund statt 6,8 Milliarden rund 9,9 Milliarden Euro dazu gibt. Eine beispiellose Summe.
Da war das Unternehmen bereits wirtschaftlich ins Trudeln geraten und bekam schließlich so viel Schlagseite, dass die Pläne für Magdeburg in diesem September ausgesetzt wurden. Wenig später nahm Gelsinger seinen Hut. Ab Januar sitzt Donald Trump wieder im Weißen Haus. Wirtschaftsexperten sind mehr als skeptisch, dass Intel doch noch in Magdeburg baut.
Es wäre eine Schlappe für Scholz. Zumal andere Prestigeprojekte wackeln. Einzig ESMC in Dresden, ein Joint Venture mehrerer Hersteller, ist auf gutem Weg. Allerdings ist auch hier die Fördersumme von fünf Milliarden Euro ein dicker Klotz.
Beim vorgezogenen Kohleausstieg wiederum war Scholz kein Überzeugungstäter. Er bekannte sich gelegentlich dazu. Die Diskussion führte aber vor allem der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck mit den Ländern. Zu wenig. In Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt konnte sich der Bund nicht durchsetzen. Der vorgezogene Ausstieg kommt damit nur in Nordrhein-Westfalen.
AfD und BSW wuchsen
Generell fehlten der Ampel in Ostdeutschland oft die Mehrheiten für ihre Vorhaben. Das war schon bei der Bundestagswahl so, wenngleich die SPD diese hier deutlich gewann. Doch dann kamen der Ukraine-Krieg, die Inflation und schließlich das Heizungsgesetz.
Mitten in den Streit um Wärmepumpen und Gasheizungen fiel die Landratswahl in Deutschlands zweitkleinstem Landkreis: Sonneberg in Thüringen. AfD-Kandidat Robert Sesselmann machte sie zur Abstimmung über die Bundespolitik. Sesselmann wurde der erste AfD-Landrat. Das Fanal von Sonneberg setzte sich bei weiteren Kommunalwahlen in Ostdeutschland fort, bei der Europawahl und schließlich bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, bei denen die AfD jeweils um die 30 Prozent holte.
Anders als es die Union oder Sahra Wagenknecht gern suggerieren, haben Olaf Scholz und die Ampel den Aufstieg der AfD nicht allein zu verantworten. Die Partei war schon vor 2021 im Osten stark und in weiten Teilen rechtsextrem. Doch der Dauerstreit der von Scholz geführten und schließlich gescheiterten Ampel hat die AfD erneut beflügelt.
Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht etablierte sich unter Scholz eine weitere populistische Partei. Das BSW zieht Stimmen nicht nur bei der Linken, mit der Wagenknecht gebrochen hatte, sondern auch bei Parteien wie der SPD. In Thüringen, Sachsen und Brandenburg wurde es so stark, dass CDU und SPD auf die neue Partei zugehen mussten. In zwei Ländern regiert das BSW nun mit - neben der SPD.
Dauerthema Ukraine
Das liegt unter anderem an der Ukraine-Politik. Wagenknecht und die AfD haben sich an dieser hochgezogen. Die Menschen in Ostdeutschland standen stets mehrheitlich kritisch zu Waffenlieferungen - und damit zu Scholz. Der hofft nun, sich ausgerechnet durch sein Nein zu Taurus in Ostdeutschland vor Unionskandidat Friedrich Merz schieben zu können.
Scholz' Unterstützer in der Ost-SPD sagen, er stelle sich jeder Debatte, wenn er denn gerufen wird. In die Landtagswahlkämpfe in Sachsen und Thüringen brachte er sich aktiv ein. Dass die SPD letztlich nicht erstmals unter die Fünf-Prozent-Hürde fiel, kann sich also auch Scholz anrechnen lassen.
Seine internen Kritiker sagen, besser wäre es, vieles überhaupt erst gar nicht im Nachgang erklären zu müssen. Die von Scholz beschlossene und im Osten unpopuläre Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen etwa. Oder seine Erlaubnis für den Beschuss russischen Territoriums mitten im Europawahlkampf. Scholz fehle es demnach vor allem an dem, was er sich selbst oft zuschreibt: Konsistenz.
Frieden mit Dietmar Woidke
Wie Ballast für den Bundestagswahlkampf wirkt da der neue Koalitionsvertrag in Brandenburg. Dort steht: "Wir sehen (…) die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch." Und: "Der Krieg (in der Ukraine) wird nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden können."
Zur Erinnerung: geschlossen hat den Vertrag ein SPD-Politiker, Dietmar Woidke. Er war schon im Wahlkampf demonstrativ auf Abstand zum Kanzler gegangen und hatte damit mehr als jeder andere Genosse deutlich gemacht, wie sehr die Partei mit Scholz fremdelte. Der musste im Bundestag erklären, der Koalitionsvertrag würde in keiner Weise an der Unterstützung der Ukraine rütteln. Das habe ihm Woidke persönlich gesagt.
Woidke wiederum verwies am Samstag in Potsdam auf die Landtagswahl. Monatelang hatte die SPD in keiner einzigen Umfrage vorne gelegen. Dennoch gewann sie die Wahl - so wie Scholz die Bundestagswahl 2021. "Lasst Euch nicht mürbe machen", rief Woidke den Delegierten zu und nannte Scholz einen "starken Spitzenkandidaten."
Der Kanzler sagte dem rbb anschließend: "Dietmar Woidke und ich rocken das jetzt gemeinsam." Es ist ein Burgfrieden. Die Rüstung des Kandidaten, dem der Bundestag nun das Vertrauen entzogen hat, ist jedoch längst zerbeult.