Förderprogramm für Schulen startet Gelingt so die Bildungswende?
Es soll das größte Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik sein. Erste ausgewählte Schulen starten jetzt im August. Doch was soll und kann das Programm leisten?
Was ist das Startchancenprogramm?
Bund und Länder investieren in den kommenden zehn Jahren insgesamt 20 Milliarden Euro für ausgewählte Schulen, im Fokus stehen dabei Grundschulen. Jetzt im August gehen die ersten 2.125 ausgewählten Schulen an den Start und werden zu sogenannten Startchancen-Schulen. Bis 2027 sollen weitere folgen, sodass insgesamt rund 4.000 Schulen von dem Programm profitieren.
Warum braucht es das Programm?
Deutschland hat ein Bildungsproblem - das haben zuletzt mehrere Studien gezeigt, beispielsweise die PISA-Studie: Deutsche Schülerinnen und Schüler haben so schlecht abgeschnitten wie nie zuvor. Viele Grundschüler haben Probleme mit einfachen Rechen- oder Schreibaufgaben.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger betont daher seit Monaten, in Deutschland entscheiden immer noch die soziale Herkunft und das Elternhaus über einen erfolgreichen Bildungsweg. Das will die FDP-Politikerin mit dem Programm ändern und Chancengleichheit erlangen.
Anders als bisher werden die Gelder daher nicht nach der Länderfinanzkraft (sog. Königsteiner Schlüssel) verteilt, sondern gezielt dort eingesetzt, wo es notwendig ist. Es handelt sich erstmals um eine Förderung nach Bedürftigkeitskriterien: Alle Startchancen-Schulen eint der große Anteil an ärmeren Schülern oder Kindern mit Migrationshintergrund. Hier ist der Förderbedarf besonders hoch.
Die Bundesländer beziehungsweise die Kommunen haben passende Schulen mit dem größten Förderbedarf ausgewählt, die sich für das Programm beworben haben. Jetzt müssen die Schulen konkret in Konzepte gießen, wofür sie das Geld einsetzen wollen.
Wofür wird das Geld ausgegeben?
Bildungsministerin Stark-Watzinger verfolgt ein ambitioniertes Ziel, wie sie Mitte Juli beim Besuch einer Startchancen-Schule sagte: "Die Zahl der Schüler, die Mindeststandards in Lesen, Rechnen, Schreiben nicht erreichen, zu halbieren."
Dafür sollen mit dem Geld aus dem Programm beispielsweise neue, kreative Lernräume entstehen. Das Geld ist aber auch für zusätzliche Sozialarbeiter, Förderstunden, Therapeuten oder IT-Administratoren gedacht. Ob die Maßnahmen des Programms zielführend sind, soll wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden.
Werden damit auch Schulen saniert?
Schimmel an den Wänden oder undichte Dächer: Zwar befinden sich viele Schulen in Deutschland in einem schlechten Zustand - das Startchancenprogramm ist aber nicht für die Sanierung von Schulen gedacht.
Die Schulsanierung ist Kernaufgabe der Kommunen. Doch die kommen nicht hinterher: Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hat bereits im Jahr 2022 die Gesamtkosten für den Sanierungsstau auf mehr als 45 Milliarden Euro beziffert.
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Stefan Düll, mahnt die Kommunen daher zu ihrer Pflicht: "Es genügt nicht nur zu sagen: 'Ich habe ein Startchancen-Programm für die ein oder andere Schule' - denn aus dem Programm darf die Schulsanierung nicht finanziert werden, die muss extra kommen. Insofern sind die Kommunen und damit die Länder gefordert, ihre Grundhausaufgaben zu machen und die Schulen zu sanieren."
Reichen die Mittel für mehr Chancengleichheit?
Der Lehrerpräsident meint zum Startchancenprogramm: Es sei gut und setze da an, wo es am dringendsten gebraucht werde. Daher handle es sich um einen "Meilenstein", wie er im Gespräch mit tagesschau.de sagt. Der große Gamechanger aber bleibe aus, dafür bräuchte es mehr Geld: "Weil es wird Schulen geben, die nicht in den Genuss dieses Programms kommen, weil die Mittel begrenzt sind. Somit kann ich nicht alle Schulen erreichen, die es bräuchten", so Düll.
Etwa jede zehnte Schule in Deutschland wird vom Programm profitieren. Das kann nur ein Anfang sein, heißt es daher auch aus den eigenen Ampel-Reihen. Für eine "breite Bildungswende" braucht es beispielsweise für Kai Gehring (Grüne), Vorsitzender des Bildungsausschusses im Bundestag, "in allen Bundesländern und gesamtstaatlich höhere Investitionen in Kitas und alle Schulen von der Grund- bis zur Berufsschule, eine Ausbildungsoffensive bei Lehrkräften und moderneren Unterricht, der die Future Skills für das 21. Jahrhundert an alle Schülerinnen und Schüler vermittelt".
Der bildungspolitische Sprecher der Union, Thomas Jarzombek (CDU), meint gegenüber tagesschau.de hingegen, das Startchancenprogramm schade zwar nicht, löse aber auch nicht das eigentliche Problem: Wer Bildungsgerechtigkeit wolle, müsse Kinder bereits vor der Einschulung fördern. Jarzombek fordert, "dass im 3. und 4. Lebensjahr verbindliche Tests gemacht werden und die Kinder bereits vor der Einschulung ein verpflichtendes Förderjahr bekommen - entweder in der Kita oder in der Schule, aber mit eigenem Personal und eigener Ausstattung".
Woher aber das zusätzliche Personal für die Forderung der Union einerseits, aber auch für das Startchancenprogramm der Bundesbildungsministerin andererseits kommen soll, bleibt offen. Für Bildungspolitiker ist daher klar: Mit dem Startchancenprogramm ist ein erster Schritt getan, alle Hausaufgaben im Bildungsbereich sind damit aber noch lange nicht erledigt.
Täuscht das Programm über andere Baustellen hinweg?
Das Startchancenprogramm gilt als Stark-Watzingers größter politischer Erfolg im Bildungsbereich. Der Weg dorthin war nicht einfach, Bund und Länder haben monatelang gerungen - vor allem um die Finanzierung.
Darum dreht sich auch die derzeit größte Baustelle im Bildungsbereich: der Digitalpakt 2.0. Der erste Digitalpakt zwischen Bund und Ländern - ein Förderprogramm aus dem Jahr 2019 - ist bereits ausgelaufen. Mit dem Pakt wurden 6,5 Milliarden Euro bereitgestellt und für die digitale Ausstattung der Schulen, beispielsweise für WLAN oder Tablets, verwendet.
Dass es einen zweiten Digitalpakt braucht, davon sind Bund und Länder überzeugt. Doch seit Monaten wird über die Kosten gestritten: Beteiligte sich der Bund beim ersten Pakt mit 90 Prozent an den Kosten, liegt die Obergrenze jetzt bei 50 Prozent. Hinzu kommt, dass der Bund den Ländern beim nächsten Pakt mehr Vorgaben machen will als bisher: Investiert werden soll nicht nur in die digitale Ausstattung der Schulen, sondern auch in die digitale Kompetenz der Lehrer. 2030 soll dann endgültig Schluss sein mit dem Digitalpakt.
Das alles passt den Bundesländern nicht. Sie wollen mehr Geld und weniger Vorgaben. Beobachter meinen, der Streit um den Digitalpakt offenbare damit das eigentliche Bildungsproblem in Deutschland: den Bildungsföderalismus und die damit verbundene Machtkonkurrenz zwischen Bund und Ländern.