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Sicherheitsrelevante Informationen Wie kooperativ werden die USA noch sein?
Ohne die USA ist die NATO nahezu blind und taub, wie eine Analyse aus dem Verteidigungsministerium zeigt, die WDR und NDR vorliegt. Demnach leistet das US-Militär den größten Anteil der Aufklärung - Deutschland nur ein Prozent.
In Europa geht die Sorge um, dass bald weniger Informationen aus den USA kommen könnten, mit denen Terroranschläge verhindert oder die für den Schutz vor möglichen russischen Attacken auf NATO-Staaten dringend benötigt würden. In europäischen Sicherheitsbehörden und beim Militär fragt man sich, was passiert, wenn die neue Trump-Administration die Zusammenarbeit tatsächlich reduzieren wird.
Die klare Abhängigkeit Europas von den US-amerikanischen Streitkräften und Geheimdiensten ist kein Geheimnis. Deshalb ist die Befürchtung groß, dass unter der Regierung "Trump 2" nun vieles anders wird: Was, wenn die USA bald weniger Informationen teilen - innerhalb der NATO und auch bilateral zwischen den Geheimdiensten? Und was, wenn dann doch noch Militäreinheiten aus Europa abgezogen würden?
Der neue US-Verteidigungsminister Pete Hegseth hat beim Besuch des NATO-Hauptquartiers in Brüssel diese Woche deutlich gemacht, welche Haltung die USA zur Militärallianz einnehmen. Die USA würden sich der NATO weiter verpflichtet fühlen. "Aber die USA werden nicht länger ein unausgeglichenes Verhältnis tolerieren, das Abhängigkeiten fördert", so Hegseth. Europa müsse Verantwortung für seine eigene Sicherheit übernehmen.
Erhebliche Konsequenzen
Was das für Deutschland und andere europäische Staaten bedeutet, zeigen Recherchen von WDR und NDR: Für die europäische Verteidigungsfähigkeit hätte auch nur ein teilweiser Rückzug der USA aus bestimmten Bereichen wohl erhebliche Konsequenzen. Das veranschaulicht eine interne Auswertung aus dem Bundesverteidigungsministerium, die WDR und NDR vorliegt.
Es handelt sich um eine Analyse zur NATO aus dem Jahr 2023. Sie beschreibt, wie hoch der Anteil der jeweiligen Mitgliedsstaaten an den gemeinsamen Nachrichten-, Überwachungs- und Aufklärungsaktivitäten (Joint Intelligence, Surveillance and Reconnaissance - JISR) der Militärallianz war. Es geht also um die unterschiedlichen Formen der militärischen Informationsgewinnung mit Aufklärungsflugzeugen, Drohnen, Satelliten, technischer Überwachung und menschlichen Quellen vom Meeresboden bis zum Weltall.
Zwischen Anspruch und Realität
Der Anteil der USA an diesen JISR-Aktivitäten der NATO im Jahr 2023 betrug demnach 76 Prozent, der deutsche Anteil lediglich ein Prozent des militärischen Nachrichtenwesens innerhalb der Allianz. Der Anspruch der Bundeswehr in diesem Bereich, so ist es in der Auswertung des Verteidigungsministeriums vermerkt, stehe im Widerspruch zur Wirklichkeit. Deutschland leistet dem Vermerk zufolge auch einen geringeren Beitrag als einige andere europäische Staaten. So leisten Norwegen und Großbritannien jeweils sechs Prozent der Aufklärungsarbeit.
Ein Sprecher des Verteidigungsministerium wollte sich auf Nachfrage nicht zu dem konkreten deutschen Anteil an den NATO-Aufklärungsaktivitäten äußern. Man könne "aus Gründen der Operativen Sicherheit und weil nachrichtendienstliche Belange betroffen sind", keine "detaillierten Aussagen zur deutschen Beteiligung" machen, so der Sprecher.
Eine ähnlich große Bedeutung wie im Militärbereich soll die Kooperation auch für die deutsche Terrorabwehr haben, heißt es aus Sicherheitskreisen, auch wenn es keine offiziellen Angaben dazu gibt, wie viele Anschlagspläne konkret durch Hinweise aus den USA hierzulande durchkreuzt werden konnten.
Das Bundeskriminalamt (BKA) erklärte auf Anfrage, dass seit 2010 insgesamt sieben von 26 möglichen Anschlägen verhindert wurden, weil "wesentliche Hinweise" von ausländischen Nachrichtendiensten beim BKA eingegangen seien. Dazu kämen Hinweise, die nicht beim BKA, sondern bei deutschen Nachrichtendiensten eingingen. Aus Sicherheitskreisen heißt es seit Jahren dazu: Viele der bedeutsamen Anschlagsplanungen konnten durch Hinweise aus den USA verhindert werden.
Pflicht zur Informationsweitergabe
Unter den europäischen Geheimdiensten gibt es deshalb seit geraumer Zeit die Sorge, dass sich mit der neuen Trump-Regierung einiges verändern könnte in der Zusammenarbeit. Bei "Trump 1" gab es viel Getöse und Gepolter aus dem Weißen Haus.
Der damalige US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, verband etwa die Forderung nach einem Ausschluss von Huawei-Technologie aus deutschen Netzen mit der Drohung einer Einschränkung der Sicherheitskooperation. Allerdings habe man dann doch auf der Arbeitsebene unverändert gut und umfangreich miteinander gearbeitet, so berichten Politiker und Vertreter deutscher Sicherheitsbehörden.
Ein Grund für die anhaltende Kooperation: Es gibt in den USA eine Dienstvorschrift zur "Pflicht zur Warnung" (duty to warn) bei geplanten Terroranschlägen. Sie gilt für alle - auch für Staaten wie Russland oder Iran. Auch nach dem Start des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine warnten die USA nach eigenen Angaben Russland im Frühjahr 2024 vor islamistischem Terror. Wenige Tage später wurden in Moskau tatsächlich mehr als 100 Personen in einer Konzerthalle von IS-Dschihadisten getötet.
Tiefgehende Einschnitte
Jetzt aber sind bei den US-Diensten tatsächlich große Umwälzungen im Gange: Trump besetzt nicht nur die Führungspositionen im Pentagon, beim Geheimdienst CIA oder bei der Bundespolizei FBI mit seinen Gefolgsleuten, die Eingriffe gehen auch tiefer.
Offenbar soll in großem Stil das Personal der Dienste ausgetauscht werden. CIA-Mitarbeitern wurden bereits massenhaft Abfindungen angeboten. Manchen FBI-Ermittlern droht möglicherweise sogar die Strafverfolgung wegen ihrer Beteiligungen an früheren Ermittlungen wie zum Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021.
Veränderungen beim Informationsaustausch
Die neue politische Lage in den USA sowie bereits der russische Angriffskrieg in der Ukraine führten jedoch auch in Europa zumindest zu kleinen Neujustierungen im Sicherheitsbereich: Im Berner Club beispielsweise, dem kaum öffentlich bekannten Verbund europäischer Inlandsnachrichtendienste, waren die möglichen Veränderungen im Verhältnis zu den US-Diensten bereits mehrfach Thema. Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), stieß sogar eine Reform des Geheimdienstverbunds an, auch um die Europäer souveräner und unabhängiger zu machen.
Manche Staaten wollen wohl noch einen Schritt weiter gehen: Vertreter aus dem Baltikum, Polen, Skandinavien und Tschechien sollen bereits hinter den Kulissen für ein neues Format zum schnellen, umfangreichen Austausch von Geheimdienstinformationen in Bezug auf Russland werben. Insbesondere die Fähigkeiten und Erkenntnisse in der Spionageabwehr sollen gebündelt werden. Offiziell wollten sich die Regierungen und Behörden dieser Länder auf Anfrage nicht äußern.
Misstrauen unter Europäern
Dem Vernehmen nach soll diese Initiative auch damit zusammenhängen, dass innerhalb der europäischen Geheimdienstcommunity das Vertrauen in einige Staaten aufgrund ihrer Nähe zu Russland schwindet: Ungarn gilt manchen bereits seit Längerem als Sorgenkind, inzwischen auch die Slowakei.
Österreich ist gerade erst wieder vollwertiges Mitglied im Berner Club geworden - Sicherheitslücken beim Nachrichtendienst und die Russland-nähe der früheren Regierung hatten das Vertrauen der Partner über Jahre erschüttert. Ein Konflikt, der sich mit einer FPÖ-Regierung wiederholen könnte.
Was der Sicherheitscommunity klar ist: Die Zeiten haben sich verändert. Ende vergangenen Jahres reiste die damals noch amtierende Nationale Direktorin der US-Geheimdienste, Avril Haines, nach Brüssel. Es war eine Art Abschiedstreffen mit Vertretern der Nachrichtendienste der NATO-Mitgliedsstaaten. Haines soll dabei gewarnt haben, dass sich die Europäer auf erhebliche Veränderungen unter der künftigen US-Regierung vorbereiten müssten. Es gelte eigene Fähigkeiten auf- und auszubauen, um nicht mehr so stark wie bisher auf den Informationsfluss jenseits des Atlantiks angewiesen zu sein.