"European Newsroom" Fragwürdige Kooperationen
In Brüssel entsteht derzeit ein gemeinsames Büro verschiedener europäischer Nachrichtenagenturen, die über EU-Themen berichten. Doch einige Partner erscheinen problematisch, wie das NDR-Medienmagazin ZAPP berichtet.
Die EU-Kommission richtet in Brüssel einen sogenannten "European Newsroom" ein: Journalistinnen und Journalisten von 16 europäischen Nachrichtenagenturen sollen ab 1. Juli aus einem gemeinsamen Büro im Gebäude der belgischen Agentur Belga berichten. Federführend beteiligt ist die Deutsche Presseagentur (dpa), die sich mit anderen großen Agenturen zusammenschließt, wie etwa der französischen AFP, der italienischen ANSA oder der spanischen EFE.
Ein Teil des Geldes dafür, rund 1,76 Millionen Euro, stammt aus dem Budget der Kommission für Öffentlichkeitsarbeit, aus dem zum Beispiel auch finanzielle Mittel für den Sender "Euronews" bereitgestellt werden. Dafür sollen die beteiligten Agenturen und ihre Korrespondentinnen und Korrespondenten zwei Mal in der Woche einen Nachrichtenüberblick produzieren, der eine "paneuropäische Perspektive auf die EU-Politik" bieten soll. Laut dem zuständigen EU-Kommissar Thierry Breton werde so der "Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu qualitativ hochwertiger Information gestärkt".
So sollen Nachrichtenüberblicke an die Kommission geliefert werden, die auf einer eigenen Website veröffentlicht werden. Die Inhalte seien kurzgefasste Auszüge aus Agenturmeldungen zu EU-Themen, die mit Verzögerung und mit Hinweis auf den jeweiligen Agenturdienst publiziert werden, heißt es dazu von der dpa.
EU-Kommission zunehmend medienpolitisch engagiert
Schon seit längerem geht die EU vermehrt gegen Desinformation und Fake News vor. In einem neuen Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) wird eine strengere Aufsicht von Online-Plattformen und mehr Verbraucherschutz geregelt. Die Internetkonzerne sollen dazu verpflichtet werden, schneller und besser gegen Hetze, Desinformation und gefälschte Produkte vorzugehen.
Zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine wurden zunächst die russischen Auslandssender RT und Sputnik in der EU abgeschaltet, die Medien Rossiya RTR/RTR Planeta, Rossiya 24/Russland 24 und TV Centre International setzte die EU-Kommission Anfang Juni auf die Sanktionsliste.
Dass die Kommission für ein EU-Nachrichtenportal auf große Agenturen zurückgreift, ist zunächst wenig verwunderlich: Nahezu alle großen Medienportale nutzen deren Meldungen, wer keine eigenen Korrespondenten oder Reporterinnen in Brüssel hat, ist häufig ausschließlich auf diese angewiesen. In der Konsequenz dominieren Agenturmeldungen zumeist die Nachrichtenlage zu EU-Themen. Diese Dominanz wird durch ein eigenes EU-Portal mit einer europaweiten Beteiligung relevanter Agenturen noch einmal verstärkt.
Zweifelhafter serbischer Partner
Problematisch ist allerdings, dass es laut verschiedener Expertinnen bei einigen der beteiligten Agenturen erhebliche Zweifel an deren Unabhängigkeit und journalistischer Qualität gibt: Besonders deutlich wird dies am Beispiel der serbischen Agentur Tanjug. Die frühere amtliche Nachrichtenagentur Jugoslawiens ist inzwischen zwar privatisiert, doch die Inhaber-Firma Tačno unterhält enge Beziehungen zur Regierung von Präsident Aleksandar Vučić.
Dessen Regierung steht seit Jahren in der Kritik, weil sie die Pressefreiheit einschränkt. Im weltweiten Pressefreiheits-Ranking von "Reporter ohne Grenzen" war das Land zwischenzeitlich bis auf Platz 93 abgerutscht, momentan befindet man sich auf dem Rang 79 von 180 Ländern. Immer wieder beklagen serbische Journalistinnen und Journalisten, dass sie staatlicherseits diskreditiert, behindert und bedroht werden.
Dagegen werden regierungsfreundliche Medien mit großzügigen Subventionen bedacht, kritisiert "Reporter ohne Grenzen". Tanjug berichte hauptsächlich zugunsten der Regierungspartei, sagt die serbische Journalistin Marija Vučić vom Faktencheck-Portal Raskrikavanje: "Man findet dort kaum kritische Artikel", dafür aber "offenkundige Falschmeldungen".
Falsches Klitschko-Zitat verbreitet
So verbreitete Tanjug etwa ein angebliches Zitat des Bürgermeisters von Kiew, Vitali Klitschko. Dieser habe den Krieg in der Ukraine mit jenem der albanischen Bevölkerung im Kosovo gegen die "serbischen Besatzer" verglichen, meldete Tanjug Ende Mai. In Serbien rufen solche Vergleiche Empörung hervor, weil die Unabhängigkeit des ehemals zu Serbien gehörenden Kosovo nach wie vor nicht auf breite Akzeptanz stößt. Entsprechend rasant habe sich das Zitat in serbischen Medien verbreitet. Schließlich verurteilte sogar der serbische Innenminister Aleksandar Vulin die Aussage.
Doch das Zitat ist frei erfunden: Vitali Klitschko distanzierte sich in einem Facebook-Post und bestritt, sich jemals derart geäußert zu haben. Die Faktenprüfung von Raskrikavanje ergab, dass das albanische Portal, von dem Tanjug die Meldung ursprünglich übernommen hatte, kein Impressum habe und der Artikel keinen Autor oder Autorin. Es sei völlig unklar, wo das Zitat herstammen solle.
Weil Tanjug in Serbien für fragwürdige Berichte und offenkundige Parteinahme zugunsten der Regierung bekannt ist, kritisieren serbische Journalistenverbände deren Aufnahme in den Europäischen Newsroom und protestierten öffentlich gegen die Mittelvergabe der EU-Kommission. Auf Anfrage von ZAPP und tagesschau.de antwortete ein Sprecher der Kommission lediglich, "Tanjug wird sich wie alle anderen beteiligten Agenturen an ihre Verpflichtungen im Rahmen des European Newsroom halten."
Journalistische Standards garantiert?
Dpa-Sprecher Jens Petersen verweist auf Anfrage auf die redaktionelle Charta des European Newsroom, die eine faktentreue und unabhängige Berichterstattung einfordere. Diese Verpflichtungen ergeben sich aus einem Fördervertrag mit der EU-Kommission, in den das NDR-Medienmagazin ZAPP im Rahmen einer Recherchekooperation mit netzpolitik.org Einsicht nehmen konnte. Die Dokumente stammen aus einer Informationsfreiheitsanfrage bei der EU-Kommission.
Der Sprecher der EU-Kommission betonte, es sei festgeschrieben, dass die Teilnehmer "unabhängig von jeder Anweisung, Druck oder Auftrag jedweder EU-Institution oder eines Mitgliedsstaates" agieren könnten. "Die Journalisten sind in ihren Entscheidungen völlig frei und erhalten keine politischen Anweisungen für ihre tägliche Arbeit", so der Sprecher. Petersen, sieht "keine Möglichkeit, auf die Berichterstattung der beteiligten Agenturen Einfluss zu nehmen".
Doch für Expertinnen wie die Medienrechtlerin Flutura Kusari vom Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit in Leipzig reicht dies nicht: Staatsnahe Nachrichtenagenturen wie Tanjug aus Serbien oder auch ATA aus Albanien seien von ihren Regierungen gesteuert und nicht unabhängig: "PR-Agenturen verdienen keine Unterstützung aus EU-Mitteln", so ihr Urteil.
Die EU laufe Gefahr, Geld an Nachrichtenorganisationen zu verteilen, die in der Region als "Sprachrohr der Regierungen" gelten. Dies werde "dem Image der EU auf dem Balkan ernsthaft schaden und diesen Agenturen eine europäische Plattform bieten, die sie nicht verdient haben."