Virtuelle Influencer Zu perfekt, um echt zu sein?
Sie reisen um die Welt, werben für Produkte und erzählen aus ihrem Alltag - obwohl sie keine Menschen sind. Virtuelle Influencer erobern Instagram und TikTok. Der kuriose Trend fasziniert, wirft aber auch Fragen auf.
Wie die meisten Menschen in ihrem Alter ist Isabella Mai täglich in sozialen Netzwerken unterwegs. Influencer sind für sie zu Alltagsbegleitern geworden.
Vor knapp zwei Jahren hat die 24-Jährige sogenannte virtuelle Influencer für sich entdeckt: Computergenerierte Avatare mit eigenen Social-Media-Profilen. "Ich habe früher schon Animes geguckt und Videospiele gespielt. Als ich angefangen habe, soziale Medien zu benutzen, kam ich auch damit immer mehr in Kontakt", sagt Mai.
Das Interesse steigt
Die Relevanz von virtuellen Influencern ist in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Ursprünglich aus der Gamer- und Science-Fiction-Szene bekannt, sind sie nun auf etwa auf TikTok und Instagram unterwegs.
Immer mehr Menschen - vor allem in Asien, Südamerika und den USA - folgen ihnen. "In Deutschland und Europa sind virtuelle Influencer noch eine Nische, aber auch hierzulande steigen ihre Followerzahlen", erklärt Claudia Franke von der Universität des Saarlandes. Das liege unter anderem daran, dass sie neuartig und zeitgemäß seien. Das errege die Aufmerksamkeit der Nutzer.
"Für mich war es einfach pures Interesse und pure Faszination", erzählt Isabella Mai. "Mich interessiert der Content und auch, was technisch dahinter steckt - wie diese Charaktere erstellt werden."
Digital auf den Modeschauen der Welt unterwegs
Wie ihre menschlichen Vorbilder informieren und berichten virtuelle Influencer über Themen, auf die sie sich spezialisiert haben, oder gewähren Einblicke in ihr vermeintlich "echtes" Leben. So auch noonoouri. Mit über 420.000 Followern auf Instagram die erfolgreichste deutsche Figur.
Seit 2018 ist sie auf den Modeschauen der Welt unterwegs - natürlich digital. Als virtuelles Model hat sie seitdem mit Marken wie Dior, Valentino und Lacoste zusammengearbeitet. Für ihren Schöpfer, den Münchner Grafikdesigner Jörg Zuber, ist noonoouri aber mehr als nur ein Modepüppchen.
Figur aus der Kindheit des Erschaffers
"Ich war als Kind sehr introvertiert. Und da dachte ich mir: Wenn ich eine Person hätte, eine beste Freundin, mit der ich mich verbinden kann, das würde mir helfen", erzählt Zuber. So entstand noonouri, als er fünf Jahre alt war, auf dem Zeichenpapier. Mit der technischen Entwicklung konnte er sie vor zwölf Jahren digital zum Leben erwecken.
Es steckt viel Jörg Zuber in noonoouri. Mit Sensoren und Facetracking werden seine Bewegungen digitalisiert und auf den Avatar übertragen und angepasst. Auch eine Stimme hat er noonoouri für eine Kooperation mit dem deutschen DJ und Musikproduzenten Alle Farben und dem Musiklabel Warner Music gegeben.
Grenzen zwischen Realität und virtueller Welt verschwimmen
"Die Stimme von noonoouri wurde extra für das Musikvideo entwickelt. Sie ist zwar KI-gestützt, aber nicht einzig mit künstlicher Intelligenz generiert worden", erzählt Zuber.
Aber nicht alle virtuellen Influencer kommen ohne Künstliche Intelligenz (KI) aus. Mit computergenerierten Bildern (CGI) werden digitale Personen erstellt, die wie echte Menschen aussehen und sich so verhalten. So ist das bei lilmiquela, die mit 2,7 Millionen Followern eine der erfolgreichsten virtuellen Influencer ist.
Bei ihr und anderen Avataren verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und virtueller Welt immer stärker, und es wird immer schwieriger zu erkennen, was wirklich daran echt ist.
Fehlende Regeln für Transparenz
Nicht alle Accounts weisen allerdings darauf hin, dass es sich um digital erstellte Figuren handelt. Wissenschaftlerin Franke findet das problematisch: "Wir haben getestet, ob die Menschen den Unterschied zwischen echten und virtuellen Influencern erkennen können. Fast die Hälfte konnte das nicht, wenn es nicht entsprechend gekennzeichnet wurde. Die Profile ohne Kennzeichnung wurden außerdem als unheimlicher wahrgenommen."
Die fehlende Transparenz über genutzte Technologien ist in Deutschland noch nicht reguliert. In Frankreich soll es bald immerhin eine gesetzliche Regelung für mehr Transparenz im Werbegeschäft auf Social Media geben.
Marken erkennen den Trend
Mittlerweile springen viele Unternehmen auf den Zug der virtuellen Influencer auf. "Für Marken gibt es viele Vorteile. Zum Beispiel die Anpassbarkeit. Der Influencer kann mit einem Klick genauso erstellt werden, wie es die Kampagne oder die Marke möchte", so Franke.
Aber auch die Kontrolle und Flexibilität sei größer. Ein weiteres Argument: Kooperationen mit virtuellen Influencern sind günstiger. Aus diesen Gründen entwickeln immer mehr Unternehmen auch schon ihre eigenen Avatare.
Jörg Zuber ergänzt einen Aspekt: "Es gehen Dinge, die man mit echten Menschen nicht machen kann. Man kann die Figur auf den Mars setzen und gleich danach unter Wasser positionieren."
Kunstfiguren - ob Menschen oder Avatare
Virtuelle Influencer, ob realitätsnah oder -fern, sind Kunstfiguren. Sie existieren nur in der digitalen Welt. Und auch wenn es technisch möglich ist: Ganz ohne Menschen geht es heute noch nicht.
"Wir gehen davon aus, dass die Zeit der virtuellen Influencer noch bevorsteht, sie werden echte Menschen aber nicht ersetzen können", so Forscherin Franke.
Mit Künstlicher Intelligenz wird es aber immer einfacher, sie zu entwickeln. Kurz und mittelfristige Folgen für die Gesellschaft sind derzeit aber nur schwer abzuschätzen.