Ein Lkw von Kühne & Nagel

Vorwurf mangelnder Aufarbeitung Das NS-Erbe von Kühne + Nagel

Stand: 13.03.2025 13:21 Uhr

Klaus-Michael Kühne gehört zu den reichsten Deutschen. Seine Firma transportierte nach 1933 für das NS-Regime Möbel und Hausrat verfolgter und ermordeter Juden. Eine öffentliche Aufarbeitung verweigert Kühne seit Jahren.

Von Teresia Minjoli, NDR

Seit Jahren verweigert Klaus-Michael Kühne eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit seiner Firma. Die Geschichte der Speditions- und Logistikfirma Kühne + Nagel ist dabei nicht nur die seiner Firma, sondern auch die Geschichte seiner Familie. Kühne ist Erbe und Mehrheitsgesellschafter des Logistikriesen Kühne + Nagel. Er hält 30 Prozent der Anteile an der Reederei Hapag-Lloyd und ist seit 2022 der größte Einzelaktionär der Lufthansa. Hinzu kommen Anteile an Flixbus und Flixtrain.

Seit den 1970er-Jahren lebt der 87-Jährige in der Schweiz. In Deutschland Steuern zahlen möchte er nicht, gibt sich aber gerne als Mäzen und Gönner und stiftete unter anderem seiner Heimatstadt Hamburg Millionenbeträge für die Elbphilharmonie sowie für seinen Lieblingsclub, den HSV. Er ließ mit der Kühne Logistics University eine Hochschule bauen sowie ein Luxushotel - und will Hamburg auch ein neues Opernhaus spendieren.

Rund 36 Milliarden Euro Vermögen

Abwechselnd mit dem Lidl-Gründer Dieter Schwarz führt Kühne mit einem Vermögen von rund 36 Milliarden Euro die Liste der reichsten Deutschen an, weltweit steht er laut Forbes auf Platz 39. In den vergangenen Jahren konnte Kühne nach Berechnungen der Finanznachrichtenagentur Bloomberg 8,56 Milliarden Euro allein an Dividenden einstreichen.

Aber nur einer der beiden Milliardäre muss sich mit einer Firmengeschichte auseinandersetzen, die ein besonders dunkles Kapitel birgt. Klaus-Michael Kühne würde dieses gerne für sich behalten. 2015 feierte Kühne + Nagel 125-jähriges Bestehen. Bei den Feierlichkeiten in Bremen und Hamburg verlor man jedoch kein Wort zur Zeit zwischen 1933 und 1945. Was hat die Firma in zwölf Jahren Nationalsozialistischer Diktatur gemacht?

Der Aufstieg von Kühne + Nagel

1890 gründeten August Kühne und Friedrich Nagel die Speditionsfirma Kühne + Nagel in Bremen. Sie legten damit den Grundstein eines der heute weltweit größten Speditions- und Logistikunternehmen. Das Geschäft lief gut an, nur wenige Jahre später entstand eine weitere Niederlassung in Hamburg, geleitet vom jüdischen Kaufmann Adolf Maass.

Nach dem Tod von Friedrich Nagel im Jahr 1907 ging die Firma schließlich in den alleinigen Besitz von August Kühne über. Als 1932 auch er starb, übernahmen seine Söhne Alfred und Werner Kühne den Betrieb. Es begann ein Kapitel, über das Klaus-Michael Kühne heute lieber nicht sprechen will.

Jüdischer Teilhaber verlässt die Firma 1933

Nur wenige Wochen nach der Machtübernahme der Nazis musste Adolf Maass, der mittlerweile Teilhaber und Anteilseigner der Hamburger Niederlassung war, die Firma verlassen. In freundschaftlichem Einvernehmen, wie die Kühnes nach dem Krieg beteuerten und Klaus-Michael Kühne noch heute sagt. Jedoch ohne Abfindung für Maass.

In einer Festschrift zum 75. Jubiläum der Firma Kühne + Nagel heißt es: "Im April 1933 scheidet Adolf Maass aus, um als Teilhaber in eine Großhandelsfirma seiner Verwandtschaft einzutreten. Alfred und Werner Kühne führen die Firma als Alleininhaber weiter." Nur wenige Tage später, am 1. Mai 1933, traten die Brüder Kühne dann in die NSDAP ein.

In den Entnazifizierungsakten der Brüder Kühne, die in den Staatsarchiven Hamburg und Bremen einsehbar sind, finden sich Stellungnahmen von Alfred und Werner Kühne, aber auch von Mitarbeitern der Firma. Sie beteuerten die Alternativlosigkeit des Parteieintritts und des Schritts, sich von Adolf Maass zu trennen, da "anderenfalls die Firma für Hamburg, Bremen und den sonstigen Filialen und Niederlassungen mit weiteren Aufträgen von der Reichsstelle nicht zu rechnen habe".

Verschiffungen nach Übersee

Weitere Aufträge kamen zur Genüge. Nach 1933 konnte sich die Firma als Spedition für "Umzugsgut" etablieren. Schon kurz nach der Machtübernahme der Nazis und mit zunehmender Beschneidung der Rechte der jüdischen Bevölkerung entschieden sich insbesondere wohlhabende Jüdinnen und Juden, das Land zu verlassen.

Spätestens ab 1935 profitierte Kühne + Nagel von dieser Vertreibung, indem sie das Umzugsgut nach Übersee verschiffte. Jüdische Logistikunternehmen waren zu dieser Zeit bereits "arisiert", übernommen von Firmen wie Kühne + Nagel. Das Umzugsgut, das mit Kriegsanfang 1939 nicht mehr außer Landes verschifft werden durfte, wurde eingelagert und sollte bald für die Logistiker und das NS-Regime gewinnbringend an Bombengeschädigte verkauft werden.

Monopolstellung ab 1942

Ab 1942 hatte Kühne + Nagel dann in der sogenannten "M-Aktion" (M steht für Möbel) eine Monopolstellung inne, um Möbel und Hausrat geflohener, deportierter und Jüdinnen und Juden aus den besetzten Westgebieten ins Deutsche Reich zu transportieren. Es ist die wohl dunkelste Epoche der Firmenhistorie.

So wurden zwischen 1942 und 1944 fast 70.000 Wohnungen von Jüdinnen und Juden in den besetzten Gebieten in den besetzten Westgebieten systematisch geplündert, während ihre früheren Bewohnerinnen und Bewohner bereits in Vernichtungslager deportiert und ermordet wurden. Zwischen 1939 und 1945 wurde Kühne + Nagel zudem jedes Jahr mit dem Gau-Diplom als "Nationalsozialistischer Musterbetrieb" für "hervorragende Leistungen" ausgezeichnet.

Maass in Auschwitz ermordet

Adolf Maass, der bis 1933 Teilhaber von Kühne + Nagel war, wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb vermutlich 1944 in Auschwitz. Ein genaues Todesdatum gibt es nicht.

Mit Fortschreiten des Krieges wurden Möbel und Hausratsgegenstände wie Besen oder Kinderwagen bald nicht mehr nur an Bombengeschädigte, sondern an die gesamte Bevölkerung verkauft. Die öffentlichen Verkäufe und Auktionen der "Judenmöbel" oder "Hollandmöbel", wie sie im Volksmund hießen, wurden in Lokalzeitungen angekündigt.

Für das NS-Regime waren diese Verkäufe nicht nur eine Möglichkeit, an Geld zu kommen. Die Moral der kriegsgebeutelten Bevölkerung konnte damit hochgehalten werden, gleichzeitig wurden etliche Zivilisten moralisch zu Mittätern gemacht.

Von Aktivisten zu Mitläufern

Nach Kriegsende mussten Alfred und Werner Kühne als Parteimitglieder und Profiteure der Zeit durch ein Entnazifizierungsverfahren der Alliierten. Obwohl sie zunächst - wie in der Entnazifizierungsakte aus Hamburg zu lesen ist - als "Große Nazis" betitelt wurden, blieben die Brüder straffrei und durften bald ihren Betrieb weiterführen.

Ein ebenfalls der Akte beiliegender Brief erklärt warum: Der vom britischen Geheimdienst mit "Top Secret" deklarierte Brief, datiert auf den 17. Februar 1948, wies das amerikanische Entnazifizierungskommitee in Bremen an, dass "Herr Alfred Kühne zu entnazifizieren und in eine Kategorie einzustufen sei, in der er seine Firma weiterführen könnte." Fortan galten die Kühnes als Mitläufer und entkamen einer Strafverfolgung.

Kooperation mit der Organisation Gehlen?

Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom geht davon aus, dass die Firma Kühne + Nagel - wie viele andere - nach dem Krieg als Tarnfirma der Organisation Gehlen diente, dem Vorgänger des Bundesnachrichtendienstes. Für beide Seiten eine Win-Win-Situation: Die Organisation Gehlen profitierte vom weitreichenden Firmennetz, während Alfred Kühne seine Firma weiter leiten konnte.

1952 wurde Alfred Kühne zum Hauptaktionär und alleinigen Geschäftsführer von Kühne + Nagel. Sein Bruder Werner wanderte nach Südafrika aus, wo er Mitte der 1950er-Jahre starb. 1958 stieg schließlich Klaus-Michael Kühne in die Firma ein und übernahm 1966 mit 29 Jahren die Leitung.

Ehrenvorsitzender und Gesicht der Firma

Heute, mit 87 Jahren, ist er - wenn auch nicht mehr Geschäftsführer - noch immer das Gesicht und Ehrenvorsitzender seines Unternehmens. Seine Stiftung, die Kühne-Stiftung, eine der größten in Europa, hält über 50 Prozent der Anteile am Konzern. Er ist der einzige Erbe der Kühne-Familie, er selbst hat keine Kinder. Die Firma ist sein Erbe. Und das schützt er bis heute.

In einer Stellungnahme gegenüber einer Recherche des ARD-Formats Reschke Fernsehen sagt Klaus-Michael Kühne: "Ich bin der Meinung, dass mein Vater und [mein] Onkel unser Unternehmen unter den obwaltenden Umständen gut durch den zweiten Weltkrieg gebracht haben."

Viele Profiteure des Nationalsozialismus

Kühne + Nagel sowie die Familie Kühne sind bei weitem nicht die einzigen, die während der NS-Zeit profitiert haben. Neben der Familie Quandt und Klatten, der Familie Porsche-Piech, den Flicks, den Oetkers oder den von Fincks ist Klaus-Michael Kühne in bester Gesellschaft von Milliardärs-Erben, dessen Familienvermögen ihren Ursprung in der NS-Zeit haben.

Anders als mittlerweile viele große Unternehmen weigert sich Kühne jedoch bis heute, die Geschichte öffentlich aufzuarbeiten. Auf Anfrage sagt ein Konzernsprecher: "Das Unternehmen Kühne + Nagel hat seine Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus gründlich und kritisch hinterfragt und aufgearbeitet."

Eine bereits 2014 beim Handelsblatt Research Institute in Auftrag gegebene Studie soll Kühne mit den Worten "Mein Vater war kein Nazi" zurückgewiesen und die Veröffentlichung bis heute abgelehnt haben, wie der Journalist und Autor David de Jong in einem Artikel für Vanity Fair schreibt.

Gegenüber der Redaktion von Reschke Fernsehen sagt der Sprecher von Kühne + Nagel: "Eine separate Studie gab und gibt es nicht." Das Handelsblatt Research Institute will sich dazu nicht äußern. Das Unternehmen hat außerdem wiederholt betont, dass "die eigenen Archive in den Kühne + Nagel Hauptniederlassungen Bremen und Hamburg […] im zweiten Weltkrieg zerstört" worden seien.

Wenn es eine solche Studie tatsächlich nie gab, hätte Kühne + Nagel heute genug Gründe, um endlich eine durchzuführen. Sie wären damit spät genug dran.