Wegen Sonntagsöffnung Selbstbedienungsläden sorgen für Streit
Wenn dem Stadtmenschen sonntags das Brot ausgeht, kommt er problemlos an Nachschub. Anders auf dem Land - wo Selbstbedienungs-Supermärkte helfen können. Doch wegen des Sonntagsschutzes gibt es Kritik.
Christian Maresch sieht sich als den Retter der Nahversorgung im ländlichen Raum. Mehr als 40 kleine Selbstbedienungs-Supermärkte hat er mittlerweile in Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz eröffnet. Ohne Personal, mit SB-Kassen, an denen die Kunden die Waren selbst scannen und bezahlen.
Das Angebot umfasst eher den Grundbedarf; es gibt die Läden meist in kleinen Gemeinden, in denen weit und breit kein Laden, Gasthof oder Bäcker mehr zu finden ist. "Tante-M" heißen die Geschäfte, in Anlehnung an den guten, alten Tante-Emma-Laden im Dorf. Maresch ist nicht der einzige Anbieter, aktuell im Südwesten aber der mit Abstand größte.
"Wir sehen uns als begehbaren Automaten", sagt der Geschäftsführer im Gespräch mit tagesschau.de. Personal braucht Maresch nur, um mehrmals wöchentlich die Regale aufzufüllen, und zur Reinigung. Ansonsten funktionieren die Läden komplett ohne Menschen - an 365 Tagen im Jahr, täglich von 5 bis 23 Uhr. Nachts sind sie geschlossen, um Vandalismus und Diebstahl vorzubeugen. Doch genau diese Öffnungszeiten haben nun die "Allianz für den freien Sonntag" auf den Plan gebracht.
Im "Tante-M"-Laden in Trillfingen kann man auch sonntags Chips, Nudeln oder Reis kaufen.
Gegner sehen Sonntagsschutz unterwandert
Die Allianz ist ein bundesweites Bündnis aus kirchlichen und gewerkschaftlichen Organisationen, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die gesetzlich vorgeschriebene Sonntagsruhe zu wahren. Dem Ableger der Allianz in Baden-Württemberg sind die "Tante-M"-Läden ein Dorn im Auge.
"Der verfassungsrechtlich geschützte Sonntag wird durch die Läden aufgeweicht", sagt Wolfgang Krüger von der Gewerkschaft ver.di, die Teil des Bündnisses ist. Er fordert die Politik auf, den "Tante-M"-Läden eine Öffnung an Sonn- und Feiertagen zu verbieten. Doch warum eigentlich? Personal, das sonntags arbeiten müsste, also die ureigene Klientel einer Gewerkschaft, ist von der Öffnung ja gar nicht betroffen.
"Uns geht es zunächst einmal um die rechtliche Frage", sagt Krüger. Das Ladenöffnungsgesetz in Baden-Württemberg stelle nun einmal klare Regeln auf, an die sich alle halten müssten. Etwa auch Städte, wenn es um verkaufsoffene Sonntage geht. Nach der Rechtsauffassung der Allianz für den freien Sonntag handelt es sich bei den "Tante-M"-Läden um Verkaufsstellen, die im Sinne des Gesetzes generell an Sonn- und Feiertagen geschlossen sein müssen.
Die zweite Sorge: Andere Geschäfte könnten Nachteile dadurch haben, dass ihre personallosen Mitbewerber sonntags geöffnet haben. Eine Sorge, die "Tante-M"-Geschäftsführer Maresch nicht nachvollziehen kann. "Wir sind ja genau aus dem Grund in den Orten, weil wir weit und breit der einzige übrig gebliebene Nahversorger sind", sagt er.
Es geht auch um Grundsatzfragen
Für die Gegner geht es aber ohnehin eher um die Grundsatzfrage. "Wir erleben, dass der Sonntagsschutz immer mehr in Bedrängnis gerät", sagt ver.di-Vertreter Krüger. Auch wenn es in den "Tante-M"-Läden keine Beschäftigten gebe, entstehe in der Bevölkerung der Eindruck: Geschäfte haben offen. Geschäfte mit Personal könnten irgendwann fordern, auch öffnen zu dürfen. Der Sonntag als Institution werde immer weiter aufgeweicht. Seiner Meinung nach reicht es daher vollkommen aus, wenn die Selbstbedienungs-Supermärkte auf dem Land von montags bis samstags geöffnet haben.
Unternehmer Maresch widerspricht. Der Sonntag sei der umsatzstärkste Tag in der Woche und der Karfreitag sogar der umsatzstärkste Tag des Jahres gewesen. Er räumt damit zwar auch ein, dass seine Läden keine reinen Nahversorger sind, sondern gerade an Sonn- und Feiertagen auch von Touristen oder für spontane Besorgungen genutzt werden. Doch seine Rechnung ist einfach: Ohne die umsatzstarken Sonntage seien viele seiner Läden unter der Woche als Nahversorger nicht mehr rentabel, und er müsste sie schließen - mit dem Ergebnis, dass es dann wieder überhaupt keinen Nahversorger mehr vor Ort gebe, vor allem zum Nachteil älterer Menschen.
Märkte sind rechtlich wohl eine Grauzone
Vielleicht ist das der Grund, warum sich die Politik bisher in dem Fall zurückhält. Die Nahversorgung in ländlichen Regionen ist ein großes Problem und immer wieder Wahlkampfthema. Auf SB-Supermärkten ruhen große Hoffnungen. Das Wirtschaftsministerium in Baden-Württemberg antwortet auf die Frage, wie es mit der Beschwerde der Kritiker umgehe, man sei mit allen Akteuren im Austausch. Sehr viele Gründe sprächen sogar dafür, dass automatisierte Supermärkte nach dem geltenden Gesetz tatsächlich sonn- und feiertags schließen müssten.
Doch getan hat sich auch mehrere Monate nach dem ersten Vorstoß der Gegner wenig. Im Gegenteil: Aus dem Landtag bekommen die SB-Läden Rückendeckung. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz hebt hervor, dass die Selbstbedienungsläden ohne Personal die Grundversorgung sicherten. Tobias Vogt, mittelstandspolitischer Sprecher der CDU, sieht sie als Pluspunkt für die Lebensqualität im ländlichen Raum. Der Sonntagsschutz dürfe zwar nicht außer Acht gelassen werden. Aber bei der Klärung von Rechtsfragen müsse man "das Ermöglichen statt des Verhinderns im Blick haben", so Vogt im SWR.
Und so dreht sich die Diskussion in Baden-Württemberg schon längst nicht mehr nur um die Frage, ob in Großerlach, Kleiningersheim, Weiltingen oder Kurtscheid am Sonntag ein "Tante-M"-Markt ohne Personal und ohne ernsthafte Mitbewerber in der Umgebung öffnen darf. Letztlich geht es darum, was der Gesellschaft wichtiger ist: der Sonntagsschutz oder eine gesicherte Nahversorgung im ländlichen Raum.