An einer Laterne hängt das Wahlplakat "Leben bezahlbar machen!" von der Partei Bündnis Grüne.
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Kaufkraft und Teuerung Wie Inflation Wahlen beeinflusst

Stand: 31.01.2025 11:02 Uhr

In den USA hat die hohe Inflation die Wahl mitentschieden. Auch wenn hierzulande derzeit ein anderes Thema den Wahlkampf dominiert: Welchen Einfluss hat die Teuerung auf die Wahlentscheidung der Deutschen?

Eine Analyse von Axel John, SWR

"Inflation ist ein komplexes Phänomen, das derzeit viele Staaten weltweit betrifft. Parteien von links und rechts bieten einfache und schnelle Lösungen für diese Herausforderung an. Die gibt es aber nicht." Das sagt Jonathan Federle. Er arbeitet beim Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Dort ist der 30-Jährige für Makroökonomie zuständig - also für gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge.  

Hohe Teuerungsraten stärken die politischen Ränder

Federle hat eine Studie zum Thema Inflation mitverfasst. Der englische Titel: "Inflation Surprises and Election Outcomes". Darin wurden 365 Wahlen in 18 Industrieländern zwischen 1948 und 2023 analysiert. Das Ergebnis: Eine hohe Inflation von zehn Prozent und schwache Gehaltszuwächse können Parteien an den politischen Rändern bei Wahlen bis zu 2,8 Prozent an Zuspruch bringen.

Grund dieser Wählerwanderung sei der Frust der Bürger über immer weniger Geld im Portemonnaie. Sowohl ein Teil des Zuspruchs für Donald Trump in den USA als auch für die AfD und das BSW in Deutschland seien damit zu erklären, erklärt Federle.

Die Ergebnisse unserer Studie werfen auch ein Schlaglicht auf die bevorstehenden vorgezogenen Bundestagswahlen. In Deutschland sind Inflation und Wachstum in den letzten drei Jahren deutlich von den Erwartungen abgewichen. Insgesamt dürfte die Zustimmung zu radikalen Parteien dadurch um rund zwei Prozentpunkte zugelegt haben." 

Wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung

Vor allem in der unteren Mittelschicht gebe es Abstiegsängste, weil sich die Menschen direkt von der Inflation bedroht fühlten. Geldentwertung habe aber noch weitere negative Folgen: "Steigt die Inflation schneller als die Reallöhne, verstärkt sich auch insgesamt die Unzufriedenheit in der Bevölkerung", sagt Federle. Die aktuellen Entwicklungen weltweit seien aber nicht neu. "Diese Phänomene gelten generell für Zeiten mit hoher Inflation - etwa wie bei der Ölkrise der 1970er Jahre. Oft hat sich dann die Unterstützung für politische Amtsinhaber verringert."

Für die derzeit hohen Umfragewerte der AfD oder für das BSW in Teilen Ostdeutschlands gebe es aber auch andere Gründe, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler. "Ich denke da etwa an die anhaltende Debatte um Migration. Das verstärkt den Zulauf zu den politischen Rändern", unterstreicht Federle.

"It's the economy, stupid!"

David Sirakov hat den Wahlkampf in den USA genau verfolgt. "In den USA war die massive Teuerung das große Wahlkampfthema - wie so oft. Außen- oder Sicherheitspolitik hat die Menschen weniger interessiert. Schon Bill Clinton hatte es bei seiner Kampagne 1992 auf den Punkt gebracht: 'It's the economy, stupid!'"

Sirakov ist Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit der US-Innenpolitik mit Schwerpunkt auf die politische Polarisierung. "Auch und gerade 'Otto Normalamerikaner' haben unter den Preissteigerungen bei den Gütern des täglichen Gebrauchs gelitten. Das Thema hat den Wahlkampf entschieden", ist Sirakov überzeugt. 

US-Vizepräsidentin Kamala Harris habe in einem strategischen Dilemma gesteckt. "Sie konnte sich nicht von Biden absetzen, da sie Teil der amtierenden Regierung war. Auch wenn die Gründe für die Inflation sehr vielschichtig waren: Unter Biden ist die Teuerung nach oben geschossen."

Trump hat profitiert - wird er es richten?

Viele US-Amerikaner hätten sie und ihre Politik daher als Teil des Problems und nicht als Lösung gesehen. Trump dagegen habe die Preise ständig thematisiert - etwa mit Bonbons. Dabei präsentierte er dem Publikum zwei unterschiedlich große Schachteln mit den Süßigkeiten: eine in Normalgröße, die andere als Miniversion. Seine Botschaft: Für dasselbe Geld gibt es jetzt weniger. Die politische Konkurrenz und auch Teil der US-Medien machten sich darüber lustig. Doch beim Wahlvolk kam der Vergleich an: Das Leben wird immer teurer.

Aus Sicht von Sirakov hat Trump aber nur Versprechungen gemacht: "Sollte der US-Präsident die Zölle wirklich anheben, würde das wiederum die Teuerung anfachen, weil ausländische Waren im Preis steigen würden." Trump habe aber sowieso ein langfristiges Problem, glaubt Sirakov. "Auch wenn die Inflation zurückgeht: Das Preisniveau wird bleiben. Das könnte Trump nach dieser Kampagne gerade bei den Bürgern mit wenig Einkommen auf die Füße fallen." 

"Demokraten haben das Problem unterschätzt"

"Speck geht durch die Decke - das war ein beliebter Wahlkampfspruch von Trump. Damit spielte er auf die Preise im Supermarkt an", sagt Gunther Schnabl. Er ist seit einigen Wochen Direktor beim Research Institute des Vermögensverwalters Flossbach von Storch. Gleichzeitig ist Schnabl Professor an der Universität Leipzig.

"Die Demokraten haben das Thema unterschätzt, auch weil die Stammwählerschaft gut dotierte Jobs in den Städten hat." Was aber wird Trump jetzt konkret gegen die Teuerung machen? "Zölle würden die Inflation weiter antreiben. Sollte er aber die Staatsausgaben kürzen, die Verwaltung stutzen, die Wirtschaft deregulieren, mehr Öl und Gas in den USA fördern und so die Energiepreise senken, könnte es zu einem Rückgang kommen", schätzt Schnabl. "Man muss aber abwarten, was er wirklich tun wird."  

Parteien in Deutschland ducken sich weg

Schnabl spannt einen Bogen von den vergangenen Wahlen in den USA zum anstehenden Urnengang in Deutschland. Die Teuerung sei auch in der Bundesrepublik eine Last für immer mehr Menschen. "Die Politik hat das Thema noch nicht ausreichend adressiert", schildert Schnabl, der die Wahlprogramme darauf durchforstet hat.

"Inflation wird vor allem von der Linken angesprochen, teils auch von den Grünen. Ich habe aber in den Programmen dieser beiden Parteien nichts gelesen, was das Problem auch nur im Ansatz realistisch angeht. Höhere Steuern für Reiche werden nicht funktionieren", erklärt Schnabl. "So viel Steuern kann man gar nicht einnehmen, um die Preise im Supermarkt oder auf dem Immobilienmarkt durch Subventionen merklich zu senken. Preiskontrollen führen dazu, dass sich das Angebot verknappt, wie bereits am Wohnungsmarkt deutlich ist."

In den Wahlprogrammen von Union und FDP sieht Schnabl zwar einige Ansätze, die Energie- und Bürokosten als wichtige treibende Faktoren der Inflation zu senken. "In Summe ist das aber noch zu zaghaft. Auch hier gibt es ein strategisches Problem: Mit echten Reformen dürfte man in Deutschland kaum eine Wahl gewinnen." So habe Angela Merkel 2005 einen sicher geglaubten Wahlsieg auf den letzten Metern fast noch verspielt. Die damalige CDU-Herausforderin des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder hatte für eine umfangreiche Reformagenda Wahlkampf gemacht.

An einer Laterne hängt das Wahlplakat "Ist deine Miete zu hoch, freut sich der Vermieter." von der Partei Die Linke.

Ein Wahlplakat der Linken thematisiert die hohen Mieten. Die Partei spreche das Thema Teuerung im Wahlkampf am deutlichsten an, so Experte Schnabl.

Inflationsdruck dürfte anhalten

Was ist von einer neuen Bundesregierung zu erwarten? Schnabl ist skeptisch: "Die eigentlichen Gründe der Inflation wollen viele Politiker nicht sehen." Der marktwirtschaftliche Rahmen, der die Grundlage des Wohlstands in Deutschland sei, habe durch zu hohe Ausgabenverpflichtungen des Staates, zu hohe Steuern und Abgaben, Subventionen und Bürokratie Schaden genommen.

"Eine Folge ist eine schwache Währung und Inflation", meint Schnabl. "Wer konnte, hat sich in Immobilien, Aktien, Gold oder Bitcoin geflüchtet." Das dokumentiere die Angst vieler vor der Geldentwertung, meint Schnabl. Und: "Die Bürgerinnen und Bürger sind viel weiter als so mancher Politiker."

Der Inflationsdruck werde weiter bestehen, wenn die Probleme ungelöst bleiben. Der Frust bei den Bürgern werde dann weiter steigen und politische Instabilitäten die Folge sein. Keine guten Aussichten.   

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 03. November 2022 um 07:40 Uhr.