Gescheiterte Koalitionsgespräche Österreich hat nun vier Möglichkeiten
Nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen stehen Österreich ungewisse Zeiten bevor. Präsident Van der Bellen muss nun eine Lösung finden. Auch eine Neuwahl ist eine Option - die der FPÖ nützen könnte.
136 Tage schon versuchen sie in Österreich, eine tragfähige Mehrheit für eine neue Bundesregierung zu finden. Rekord, sogar für Österreich, wo auch Regierungsbildungen traditionell länger dauern als anderswo. Und jetzt? Wieder alles auf Anfang? So klingt das bei Alexander Van der Bellen, dem österreichischen Bundespräsidenten, der mächtiger ist als sein deutscher Amtskollege. Auf ihn kommt es jetzt an, er kann und muss sagen, wie es weitergeht.
Und was sagt Van der Bellen nach einem aufgeregten Tag, der in Österreich mal in den Geschichtsbüchern stehen wird? Der alte Herr aus der Hofburg sagt, es sei vielleicht "unerfreulich für den einen oder die andere", dass die Koalitionsverhandlungen von FPÖ und ÖVP jetzt gescheitert sind, "für das Staatsganze aber ist es kein echter Grund zur Beunruhigung".
Neuwahlen, Minderheitsregierung oder Kompromiss?
Es gebe ja eine geschäftsführende Bundesregierung: Der international anerkannte Ex-Außenminister Alexander Schallenberg ist mal wieder Interims-Bundeskanzler. Und dann gebe es laut Verfassung noch vier weitere Möglichkeiten, den Knoten zu lösen. Österreichs Bundespräsident zählt sie auf, ausdrücklich und unbedingt "wertfrei" in der Reihenfolge: Neuwahlen, eine Minderheitsregierung, eine Experten-Regierung, oder doch noch ein Kompromiss der bereits gewählten Parteien im Parlament.
Das vorerst letzte Wort der Hauptverantwortlichen für die aktuelle Situation kommt vom FPÖ-Vorsitzenden Herbert Kickl, live zur besten Sendezeit um 20:15 Uhr. Eine gute halbe Stunde lang spricht er über seine Sicht des Scheiterns. Mit einer klaren Präferenz, was der nächste Schritt sein sollte: Neuwahlen. Die die FPÖ von Anfang an erklärtermaßen nicht fürchtete.
Bei Neuwahlen bis zu 35 Prozent für die FPÖ
Vielleicht erklärt das den robusten Verhandlungsstil Kickls. Die aktuellen Sonntagsfragen geben der FPÖ nochmal fünf, sechs Prozentpunkte mehr: Würde jetzt neu gewählt, könnten die Rechtspopulisten mit 35 Prozent rechnen. Die Volkspartei ÖVP liegt derzeit bei 19 Prozent - ein Absturz auf Platz drei, hinter der SPÖ.
Das Problem: Rechnerisch wäre das die gleiche Konstellation wie bisher. Jemand müsste für eine Regierungsmehrheit mit Kickl koalieren. Aber da käme nur die ÖVP in Frage. Und diese Option ist in den letzten Tagen Schritt für Schritt zerbröselt.
Verpasste Chance auf FPÖ-Kanzler
Gescheitert am "Machtrausch" des Kanzlerkandidaten der FPÖ, Herbert Kickl - so sagen sie das bei der ÖVP. Christian Stocker, der neue ÖVP-Parteichef, als Chefverhandler 37 Tage das Gegenüber von Herbert Kickl, formuliert es etwas sachlicher. Leider sei Herbert Kickl "aus der Rolle des Oppositionspolitikers nicht ausreichend in die Rolle eines Regierungschefs gewechselt".
Deshalb sei die "Chance, dass die FPÖ den Kanzler in Österreich stellt" vorbei. Es wäre der erste Rechtspopulist im Kanzleramt und die erste Rechts-Mitte-Regierung gewesen.
In Bundesländern gab es das schon, gibt es das neu in der Steiermark. Eine Brandmauer gegen Rechtsaußen existiert so nicht. Sie wurde eigentlich nur von den etwa 30.000 Demonstranten vor der ÖVP-Zentrale gefordert, genau an dem Abend, als die FPÖ-ÖVP-Verhandlungen zum ersten Mal unterbrochen wurden.
ÖVP kritisiert mangelnde Augenhöhe
Dabei hatte es ganz gut begonnen für Kickl und die FPÖ. Schnittmengen zwischen den beiden Parteien gebe es genug, hieß es immer. Gleich zum Start einigte man sich sehr schnell auf ein Sparpaket, weil die ÖVP mit SPÖ und NEOs die Zahlen schon aufbereitet hatte. Ein EU-Defizitverfahren konnte so abgewendet werden.
Aber am Tag des Scheiterns erinnert sich ÖVP-Mann Stocker, wie "unfreundlich" die Einladung Kickls zu gemeinsamen Gesprächen gewesen sei, wie von oben herabschauend auf den Juniorpartner ÖVP, den doch nur 2,5 Prozentpunkte im Wahlergebnis vom Wahlsieger FPÖ trennten. Die ÖVP erwartete "Augenhöhe", und damit Kompromissfähigkeit. Worüber sich Kickl noch im Nachhinein echauffiert: "Keine Spielchen" dürfe es geben, es müsse klar sein, wer Wahlsieger sei - das war seine Ansage von Beginn an.
Knackpunkt Innenministerium
Am Ende scheiterte es an der Frage, wer das Innenministerium bekommt. Das Kanzleramt, das wichtige Finanzministerium, das war schon durch und der FPÖ zugestanden. Aber auch noch das Innenressort, aus dem Herbert Kickl schon einmal - nicht sehr ehrenhaft - entlassen worden war?
Der ÖVP gehe es nur um Posten nicht um Inhalte, warf FPÖ-Mann Kickl der ÖVP vor. Die argumentierte, beim Innenministeriums gehe es um die nationale Sicherheit, ein FPÖ-Minister dort wäre ein Sicherheitsrisiko. Da aber quoll schon das gegenseitige Misstrauen aus allen sogenannten Kompromiss-Papieren, die auch noch fast in Echtzeit an die Medien durchgestochen wurden. Keine Kompromisse mehr, so las sich das.
Und genau das sei das eigentliche Problem, sagt Österreichs Bundespräsident, nachdem ihm Herbert Kickl den Auftrag zur Regierungsbildung in die Hofburg zurückgetragen hat. "Der Kompromiss ist in Verruf geraten", bedauert Van der Bellen. Dabei sei "der Kompromiss in Österreich ein Schatz, ein Kulturgut", mit dem Österreich immer gut gefahren sei. Diesen "Schatz" will der Bundespräsident jetzt erstmal wieder suchen und heben.