![Feuerwehrauto vor zerstörtem Haus in Kramatorsk in der Ukraine (Archiv) | dpa Feuerwehrauto vor zerstörtem Haus in Kramatorsk in der Ukraine](https://images.tagesschau.de/image/9e651817-ff44-401c-8def-8b92da3552a4/AAABlO9AHzI/AAABkZLrr6A/original/kramatorsk-ukraine-106.jpg)
Kramatorsk in der Ostukraine Eine Stadt in der Warteschleife
Kramatorsk in der Ostukraine liegt nahe der Front. Das Donnern der Artillerie prägt das Leben der Menschen - doch viele wollen bleiben. Die Region könnte bei Gesprächen mit Putin zur Verhandlungsmasse werden.
Der Himmel hängt grau über Kramatorsk, als Bogdan Sujakow und sein Kumpel Jurij die leerstehende Wohnung betreten. Hier wollen sie heute die Fenster reparieren - zerstört von der Druckwelle einer Rakete, die in der Nähe eingeschlagen ist. Viele Fenster in dem grauen Häuserblock sind schon mit Spanplatten verschlossen. Für diese Wohnung hier hat Sujakow vom Roten Kreuz immerhin eine Folie bekommen. Der Pressspan ist an diesem Tag aus.
Es gehe um die Heizung in den Gebäuden, sagt Sujakow. "Damit die nicht abgestellt werden muss, damit sie nicht einfriert, müssen wir auch nicht bewohnte Wohnungen verschließen." Alles sollte geschlossen sein. "Wenn auch nur ein Fenster kaputt ist, friert alles ein. Dann haben die Menschen im gesamten Gebäude keine Heizung wegen nur einer Wohnung."
![Karte der Ukraine und Russlands, hell schraffiert: von Russland besetzte Gebiete | ISW, Critical Threats Project | Stand: 9.2.2025 Karte der Ukraine und Russlands, hell schraffiert: von Russland besetzte Gebiete](https://images.tagesschau.de/image/f778afef-6c59-4f43-9d53-712880296e97/AAABlO71Ork/AAABkZLlUbs/16x9-960/karte-ukraine-frontverlaeufe-1652.jpg)
Karte der Ukraine und Russlands, hell schraffiert: von Russland besetzte Gebiete
Warten auf irgendeine Art von Entscheidung
Viele der Wohnungen stehen mittlerweile leer. Nur 20 Kilometer von Kramatorsk entfernt toben schwere Kämpfe an der Ostfront der Ukraine. Das Donnern der Artillerie ist das tägliche Hintergrundrauschen für etwa 80.000 Menschen, die noch immer hier leben. Von Tag zu Tag, ohne die Möglichkeit, Pläne für die Zukunft zu schmieden, erzählt Sujakow. Es ist eine Stadt in der Warteschleife, ein Warten auf die USA, auf Verhandlungen, auf irgendeine Art von Entscheidung.
Ich habe überhaupt keine Hoffnung. Was kann Amerika schon machen? Eigentlich nichts. Der Krieg wird früher oder später hierherkommen, und darauf muss man sich vorbereiten.
Er beginne schon langsam einen Ort zu suchen, an den er seine Familie bringen kann, sagt Sujakow. "Ich versuche gewisse Anschaffungen nicht mehr zu machen. Ich kaufe zum Beispiel keinen neuen Fernseher. Warum auch, wenn der Krieg bald hier ist?"
Kein Geld, um noch mal von vorne anzufangen
Die meisten würden darüber nachdenken, die Stadt zu verlassen, sagt Maksym Choduschko. Es sei ein schmerzhaftes Thema, betont der Lokaljournalist. Denn viele Menschen hier sind schon mehrmals vor den russischen Truppen geflohen.
Auch Choduschko verließ Kramatorsk zu Beginn des russischen Angriffskrieges und kennt die finanziellen Nöte geflüchteter Menschen in der Ukraine: Darüber werde in unserer Gesellschaft sehr wenig gesprochen, meint er. "Flieht und seid glücklich, dass man euch in irgendeiner Scheune unterbringt! Entschuldigung, die Menschen verlieren ihr Haus oder eine renovierte Wohnung!"
In der Ukraine sei ein Haus oder eine Wohnung eine einmalige Sache. "Mehr ist nicht möglich", so Choduschko. "Die finanziellen Mittel fehlen. Aber darüber wird nicht geredet."
Die Menschen haben kein Geld, um noch einmal von vorne anzufangen.
Seit Kurzem auch Gleitbomben
Die Einwohner von Kramatorsk kennen den Krieg. 2014 schon war die Stadt kurzzeitig besetzt von sogenannten pro-russischen Separatisten. Bewaffnete Freischärler, die finanziert und unterstützt aus Russland Unruhen im Osten der Ukraine anstachelten. In den Jahren danach flüchteten unzählige Zivilisten aus dem besetzen Donbass hierher. Seit 2022 ist Kramatorsk wieder Frontstadt.
Aber zu den regelmäßigen Raketen- und Drohnenangriffen kommen seit Kurzem auch noch Angriffe mit Gleitbomben hinzu. Damit bekäme der tägliche Terror eine neue Qualität, sagt der Journalist Choduschko sagt: "Ich hoffe, dass irgendetwas unternommen wird. Aber nur zum Verständnis: Ich will mein Leben nicht noch einmal in zwei, drei Taschen packen müssen." Seine Eltern und sein jüngerer Bruder hätten acht Monate lang in einem Wohnheim in Dnipro gelebt und seien dann zurückgekehrt. "Drei Erwachsene in einem Zimmer, das ist unmöglich", meint Choduschko.
Wird Kramatorsk schon bald Verhandlungsmasse?
Hier im Osten der Ukraine schauen sie nach Washington. Auf US-Präsident Donald Trump. Er - so scheint es hier vielen - entscheidet auf bedeutende Art und Weise mit über ihr Schicksal. Denn Kramatorsk liegt in einer von vier ukrainischen Regionen, die der russische Machthaber Putin für sich reklamiert, ohne sie vollständig zu kontrollieren. Ob seine Stadt schon bald zur Verhandlungsmasse wird? Der Helfer Sujakow hofft, dass er in seiner Heimat bleiben kann:
Wenn es keine Hilfe mehr aus den USA gibt, dann wird die Front rasch näher rücken. Dann muss ich schnell einen neuen Ort für meine Familie suchen. Wenn es irgendwelche Verhandlungen gibt, dann muss man gucken, auf was sie sich einigen wollen. Und auf welcher Seite Kramatorsk am Ende landet.
Er wolle nicht nach Russland, meint Sujakow. "Ich will in der Ukraine leben. Wenn Kramatorsk an Russland geht muss ich meine Familie von hier wegbringen."
Militärisch wird es die Ukraine kaum schaffen, die russischen Truppen in der Region aufzuhalten, davon scheinen hier viele überzeugt. Doch der Donbass wird so schnell nicht fallen - auch das scheint nach drei Jahren Angriffskrieg eine Gewissheit zu sein. Zu langsam rücken die russischen Besatzungstruppen dafür vor.