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Themen im Wahlkampf Und was ist mit Wohnen und Bildung?

Stand: 18.01.2025 07:58 Uhr

Vor allem Wirtschaftsthemen bestimmen den Wahlkampf. Doch viele Menschen in Deutschland haben noch ganz andere Sorgen - bezahlbares Wohnen etwa oder Bildung. Warum spielen diese Themen kaum eine Rolle?

Eine Analyse von Marc Feuser, ARD-Hauptstadtstudio

Es ist einer der wenigen Auftritte, an dem der Kanzler und sein stärkster Herausforderer fast zeitgleich am selben Ort sind: Bei einer Veranstaltung mit Gewerkschaftlern hat DGB-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sowohl Olaf Scholz als auch Friedrich Merz eingeladen. Doch ein Aufeinandertreffen der politischen Kontrahenten gibt es nicht.

Etwa fünfzehn Minuten, nachdem SPD-Kanzler und -Kanzlerkandidat Scholz die Veranstaltung verlässt, betritt Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz das Gewerkschaftshaus in Berlin. DGB-Mitglieder aus ganz Deutschland sind angereist, um über Themen wie den Mindestlohn, die Zukunft der Industrie in Deutschland oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu diskutieren. Eingeladen sind wie in jedem Jahr auch Spitzenpolitiker.

Im vergangenen Jahr waren Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck da - hinter verschlossenen Türen. Doch im Zeichen des Wahlkampfs treten diesmal Scholz und Merz vor die Kameras, um gemeinsam mit Fahimi ihre Positionen zu erklären, man könnte auch sagen: für sie zu werben.  

Ein Wirtschaftswahlkampf

Bei dem Auftritt vor den Kameras geht es jedoch wenig um den Blick der Gewerkschaften auf Herausforderungen in Deutschland, sondern wie so oft um Kernbotschaften, die Scholz und Merz bei jeder sich bietenden Gelegenheit loswerden - unabhängig vom Anlass.

Scholz sagt etwa: "Ein Made-in-Germany-Bonus muss her, um die Industrie in Deutschland zu halten." Und auch Merz meint: "Deutschland muss Industrie und Mittelstand stärken." Scholz ist es wichtig zu betonen: "Die EEG-Umlage soll abgesenkt werden." Merz erklärt: "Trumps angedrohte Importzölle sollten Thema in der Wahlkampfdiskussion werden."

Der Zustand der Wirtschaft ist eines der großen Themen des Wahlkampfs. An anderer Stelle geht es um das Klein-Klein wie die Debatte um die Einführung von Sozialabgaben auf Kapitaleinkünfte, um das Gesundheitssystem zu entlasten. Ein zweifelsfrei diskussionswürdiges Thema. Doch große gesellschaftliche Visionen zeichnet derzeit keine politische Partei im Wahlkampf, sagen Beobachter.

Im Schlafwagen ins Kanzleramt?

Noch 2021 tönte CSU-Chef Markus Söder, die Union dürfe nicht "mit dem Schlafwagen ins Kanzleramt". Damit meint er: sich ruhig verhalten, kaum nennenswerte oder gar kontroverse Themen setzen - schlafen eben und warten, dass die anderen Fehler machen. Genau jene Methode, die Olaf Scholz 2021 mit ins Kanzleramt beförderte.

In diesem Bundestagswahlkampf scheint es bislang kaum anders zu laufen. "Man hat schon den Eindruck, dass sozialpolitischen Fragen, die die Menschen wahnsinnig bewegen, von den Parteien nicht der Raum eingeräumt wird, den es brauchen würde", analysiert Politikwissenschaftler Antonios Souris von der Freien Universität Berlin im Gespräch mit tagesschau.de.

Es gäbe durchaus Inhalte in diesem Wahlkampf, die viele Menschen umtreiben. Sie sind nur gut versteckt in den Wahlprogrammen und spielen in der Kommunikation der Parteien bislang nicht die tragende Rolle.

Wichtige Themen Armut und Wohnen

Als größtes Problem für das Zusammenleben in Deutschland bezeichnen laut ARD-DeutschlandTrend gut drei Viertel der Deutschen die Unterschiede zwischen Arm und Reich. In den meisten Wahlprogrammen kommt der soziale Zusammenhalt allerdings eher als Floskel daher denn als politische Aufgabe oder Maßnahme.

"Eigentlich steht schon seit Jahren zum Beispiel das Thema Wohnen weit oben, auch im europäischen Vergleich", sagt Politikwissenschaftler Souris. Blickt man zum Beispiel zum Thema Wohnen in die Wahlprogramme der Parteien, fordern SPD, Grüne, Linke und BSW eine Verlängerung oder gar dauerhafte Entfristung der Mietpreisbremse.

Dabei hatten unter anderem Recherchen des ARD-Magazins Plusminus festgestellt, dass die Mietpreisbremse nicht effektiv gegen steigende Mieten hilft. Kaum jemand verklagt den eigenen Vermieter.

Die Union will mit "mehr Pragmatismus" und "mehr Bauland" den Neubau ankurbeln. Die FDP möchte mehr Menschen in eigenen Immobilien wohnen lassen und dazu die Grunderwerbssteuer bis zu einem Betrag von 500.000 Euro aussetzen. Die AfD ebenso - und sie will die Grunderwerbssteuer für Selbstnutzer ganz abschaffen.

Auch Bildung kommt in den Wahlprogrammen vor

Das Thema Bildung betrifft viele Menschen in Deutschland, im Kern ist Bildungspolitik allerdings Ländersache. Die FDP will das ändern und fordert, die Kultusministerkonferenz als Entscheidungsgremium der Länder abzuschaffen. Für Lehrkräfte fordert sie eine leistungsorientierte Bezahlung.

Die SPD will den Digitalpakt Schule fortsetzen und das sogenannte Startchancen-Programm, das Bildungserfolg von Kindern von dem ihrer Eltern entkoppeln soll, an Schulen sukzessive ausbauen. Die Grünen möchten den von Wirtschaftsminister Habeck vorgeschlagenen "Deutschlandfonds" auch für Investitionen an Schulen einsetzen.

Die Union will mehr Ganztagsangebote und Kinder individuell fördern. Die AfD setzt eine vermeintliche "Islamisierung an deutschen Schulen" in den Fokus und will Islamunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler unter Aufsicht des Staates - wie etwa vom Deutschen Lehrerverband gefordert und bei christlicher Erziehung üblich - verhindern.

Die Linke will Bildung von der Kita bis zum Studium gebührenfrei machen. Das BSW fordert einheitliche Lehrpläne in allen Bundesländern.

Derzeit keine Wahlkampfthemen

Doch warum dringen die Parteien mit diesen Themen nicht stärker in den Wahlkampf? "Die Debatten im Wahlkampf werden im Moment stark ideologisch geführt, weniger Maßnahmen-orientiert", erklärt Politikwissenschaftler Souris. "Allerdings stehen wir auch noch relativ am Anfang eines ohnehin sehr kurzen Wahlkampfs."

Die recht kurze Vorbereitungszeit bis zur Bundestagswahl führt außerdem dazu, dass etwa die FDP bislang nur einen Programmentwurf vorlegen konnte. Denn bei den meisten Parteien werden Wahlprogramme von einem Parteitag beschlossen und verabschiedet, auf dem sich manchmal noch Änderungen am Programm ergeben. Die FDP wird ihren Parteitag am 9. Februar in Potsdam abhalten - zwei Wochen vor der Wahl.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 17. Januar 2025 um 08:57 Uhr.