Neuangekommene Flüchtlinge gehen mit ihren Koffern in eines der Wohnhäuser der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende in Trier.
analyse

Migrationsdebatte Welche Lösungsansätze im Wahlkampf untergehen

Stand: 06.02.2025 03:01 Uhr

Im Wahlkampf überbieten sich die Parteien mit Forderungen zur Steuerung der Migration. Die Probleme ließen sich damit nicht lösen, warnen Experten. Dabei gibt es Lösungsansätze - die aber kaum präsent sind.

Von Marc Feuser, ARD-Hauptstadtstudio

Mehmet Samazi hat Angst. Der 19-Jährige ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, wohnt in Saarbrücken und hat die türkische und die deutsche Staatsbürgerschaft. "Man weiß ja nicht, was passiert. Nehmen die mir den deutschen Pass weg und schicken die mich wieder zurück? Ich weiß ja nicht, was da abgeht."

So wie Samazi blicken einige Deutsche mit Migrationsgeschichte auf die aktuelle Debatte über "Zustrombegrenzung" und "Migrationskontrolle", wie es in Wahlprogrammen und Gesetzentwürfen heißt. Der Wahlkampf gleicht einem Überbietungswettbewerb mit Sofortprogrammen und Punkte-Plänen, um Migration nach Deutschland anders zu steuern.

Wahlprogramme zu Migration

Inhaltlich gibt es teils große Übereinstimmungen in den verschiedenen Vorschlägen. Die CDU will beispielsweise bestimmten Straftätern mit doppelter Staatsangehörigkeit den deutschen Pass entziehen. Eine rechtlich umstrittene Forderung. Die AfD will doppelte Staatsbürgerschaften grundsätzlich nur noch in begründeten Ausnahmefällen zulassen.

Die Grünen fordern in einem neuerlichen Zehn-Punkte-Plan, nicht-deutsche Gefährder und Schwerkriminelle konsequent abzuschieben. In ihrem Wahlprogramm drängen sie vor allem auf europäische Lösungen.

Die FDP will Asylverfahren im Ausland durchführen lassen. Eine Forderung, die die SPD kritisch sieht - doch auch sie macht sich für "rasche wie konsequente Abschiebungen" stark.

Was ist mit Fluchtursachen?

Um weniger Menschen vor Krieg, Gewalt, Hunger oder Klimaveränderungen schützen zu müssen, müssten die Parteien vor allem an die Fluchtursachen ran, sagen Migrationsforscher und Menschenrechtsexperten wie die Gesellschaft für bedrohte Völker.

Als Absichtserklärung mit mal mehr, mal weniger konkreten Ansätzen findet sich das im Wahlprogramm der Linken, der SPD und der Grünen. In der Migrationsdebatte dringen sie damit jedoch kaum durch. CDU, AfD, FDP und BSW konzentrieren sich dagegen mehr auf Abschiebungen, Grenzkontrollen und schärfere Asylregeln. 

Strafrechtler haben Bedenken

Das Kalkül: Besonders nach den Attentaten in Magdeburg und Aschaffenburg soll das emotionale Thema Migration nicht der extremen Rechten überlassen werden. Doch die Schlussfolgerung, dazu inhaltliche Punkte der extremen Rechten teilweise zu übernehmen, steht in der Kritik.  

So melden 60 Strafrechtler und Strafrechtlerinnen Bedenken an einer rechtskonformen Umsetzung der Migrationspläne an. "Statt evidenzbasierter Erkenntnisse dominieren derzeit emotionale Reaktionen und politische Reflexe", lautet es in einer Stellungnahme. 

"Beispielsweise zeigt die Forschung, dass soziale Integration eine der wichtigsten Präventivmaßnahmen gegen Kriminalität ist. Doch wird als Reaktion auf die Tat in Aschaffenburg aktuell der Familiennachzug für Geflüchtete infrage gestellt, obwohl dies Vereinsamung und soziale Instabilität verstärken kann, was wiederum das Risiko von Kriminalität erhöhen könnte", heißt es weiter.

Grenzkontrollen als Lösung?

Im Wahlkampf spielen Integration und Umgang mit Menschen, die nach Deutschland kommen, derzeit kaum eine Rolle, kritisiert auch der Saarbrücker Oberbürgermeister Uwe Conradt (CDU). In der ARD-Sendung Bericht aus Berlin wünscht sich Conradt, "dass wir weniger emotional - auch wenn ganz schlimme Ereignisse passiert sind - aus der Tagespolitik heraus wichtige Fragen diskutieren, die die Zukunft für Jahre und Jahrzehnte betreffen mit Blick auf das Zusammenleben in Europa".

Saarbrücken liegt nur wenige Kilometer neben der Grenze zu Frankreich. Pendler, Touristen, Unternehmen fahren tagtäglich hin und her. Conradt fürchtet, die offenen Grenzen Europas an Symbolpolitik zu verlieren. "Wenn man sich die Hunderten von Grenzübergängen zwischen Deutschland und Frankreich anschaut, die es an der grünen Grenze gibt, dann weiß man, eine flächendeckende Kontrolle wird die Bundespolizei gar nicht leisten können." 

Beim Thema Migration beschäftigt den CDU-Kommunalpolitiker vor allem die praktischen Herausforderungen: Dass "die Systeme nicht überlastet sein dürfen", weder bei Einreise, noch beim Familiennachzug. Dass es genug Wohnungen und Kita-Plätze gibt. "Aber das sind nicht die Fragen, die wir alleine mit dem Thema Grenzkontrollen in Verbindung bringen, sondern mit der Frage: Wie gehen wir am Ende mit denen um, die zu uns gekommen sind?"  

Zu wenig psychologische Betreuung

Im Umgang mit Geflüchteten versucht SPD-Innenministerin Nancy Faeser einen Erfolg zu melden: Die Zahl der Asylanträge in Deutschland sinkt. Und auch innenpolitisch hat die ehemalige Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP Asylregeln verschärft. 

So haben Geflüchtete nach von der Ampel beschlossenen Verschärfungen im Asylsystem nun erst nach 36 statt zuvor 18 Monaten Anspruch auf medizinische Regelversorgung. Das heißt: In Deutschland können sich Geflüchtete akut behandeln lassen, auch psychologisch - allerdings können sie keine langfristige Therapie beginnen. 

Von den etwas über drei Millionen geflüchteten Menschen in Deutschland leiden ungefähr ein Drittel unter psychischen Erkrankungen, die dringend einer Therapie bedürfen, schätzt die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF). Sie rechnet vor, dass psychosoziale Zentren derzeit nur 3,1 Prozent des tatsächlichen Therapiebedarfs abdecken können. Es fehlt also massiv an psychologischer Betreuung.

Im Fünf-Punkte-Plan der Union und in der Debatte rund um die Abstimmung des "Zustrombegrenzungsgesetzes" im Bundestag vergangene Woche ist das kein Thema. "Dabei können Teilhabe und Integration nur dann gelingen, wenn Menschen Zugang zu bedarfsgerechter psychosozialer Versorgung haben", hält Yukako Karato von der BAfF fest.

Kürzung bei der psychosozialen Versorgung

Weiterhin hatte schon die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP bei den Haushaltsverhandlungen für 2025 weniger Geld für eine psychosoziale Versorgung von Geflüchteten eingeplant. Die diesjährige Bundesförderung für die 48 psychosozialen Zentren, die in der BAfF organisiert sind, wurde im Regierungsentwurf um knapp die Hälfte im Vergleich zu 2024 gestrichen. Der Entwurf wurde zwar wegen des Endes der Ampel-Bundesregierung nicht rechtskräftig, doch auch in der vorläufigen Haushaltsführung ist weniger Geld eingeplant.  

Zum Umgang mit Geflüchteten in Deutschland gibt es im Wahlkampf derzeit kaum Vorschläge zu hören. Was bleibt: Angst bei Deutschen mit Migrationsgeschichte und ungelöste Probleme in der Steuerung der Migration.