Christian Dürr, Christian Lindner und Friedrich Merz im Bundestag (Archiv)

"Migrationspakt der Mitte" der FDP Eine Brücke ins Nichts?

Stand: 05.02.2025 11:45 Uhr

Die Abstimmung über das Migrationsgesetz der Union führte zum Eklat. Nun will die FDP mit einem "Migrationspakt der Mitte" vermitteln. Mit Erfolg? Jedenfalls mehren sich Aufrufe zur Mäßigung.

Von Birthe Soennichsen, ARD Berlin

Die vergangene Woche steckt vielen im politischen Berlin noch in den Knochen. Viel Vertrauen ist kaputt gegangen. "Der Graben zu Friedrich Merz ist größer geworden", sagte SPD-Chef Lars Klingbeil. "Das Angebot an Friedrich Merz, das gemeinsam zu machen, besteht." Doch was genau sie in der Migrationspolitik gemeinsam machen könnten, darüber gibt es weiterhin unterschiedliche Vorstellungen.

Der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, hatte den Ton in der Debatte früh gesetzt: keine Kompromisse beim Thema Migration. Er will seine Vorschläge umsetzen. "Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht", sagte er. "Ich sage nur: Ich gehe keinen anderen. Kompromisse sind zu diesen Themen nicht mehr möglich."

Die FDP versucht es trotzdem. Sie will vor der Bundestagswahl doch noch Gesetze verabschieden - ohne auf die Stimmen der AfD angewiesen zu sein. Fraktionschef Christian Dürr hat das als Wahlkampfthema erkannt: "Die FDP versteht sich auch hier als Brückenbauer, um das Ganze hinzukriegen", sagte er. "Wir wollen nicht mehr reden in der Migrationspolitik, sondern endlich ins Handeln kommen."

Vorstoß enthält keine neuen Ideen

Doch die selbst ernannten Brückenbauer von der FDP müssen reden, wenn sie wirklich Kompromisse schmieden wollen. Auf dem Tisch liegt ein Brief, den Dürr an seine Kolleginnen und Kollegen von SPD, Grünen und CDU/CSU geschrieben hat. Darin gibt es keine neuen Ideen, im Wesentlichen sind es Vorschläge, auf die sich die vier Fraktionen schon am Freitag nicht einigen konnten.

Die FDP versucht also, eine Brücke zu bauen, über die wohl weder die Grünen noch die SPD gehen werden. Die Grünen erkennen in dem FDP-Brief kein echtes Gesprächsangebot und sehen darin ein "politisches Spiel". In den vergangenen Tagen haben die Grünen immer wieder deutlich gemacht, was ihre Voraussetzungen für Verhandlungen sind.

"Wir waren und sind gesprächsbereit über Maßnahmen", sagte die Co-Parteivorsitzende Franziska Brantner. "Wir haben selber welche vorgeschlagen, aber eben nicht, wenn die Pistole am Kopf ist und Friedrich Merz sagt: Ihr macht das genauso wie ich - oder ich stimme mit der AfD."

Widerstand von SPD und Grünen

Auch inhaltlich gibt es bei SPD und Grünen Bedenken gegen die Vorschläge der Union. Ein zentraler Punkt der Forderungen aus der Union ist die Begrenzung des Familiennachzugs. Bisher gibt es die Regelung, dass bestimmte Geflüchtete, zum Beispiel aus Syrien, die oft schon seit vielen Jahren hier sind, Familienangehörige nach Deutschland holen dürfen. Daran wollen die Grünen laut Brantner nicht rütteln. 

Es seien insgesamt 12.000 Menschen, die maximal kommen dürften pro Jahr. "Das ist die Kleinfamilie, das ist die Mama, die zur Tochter kommen kann. Das sind alle sicherheitsüberprüfte Menschen", sagte Brantner. "Da wissen wir genau, wer kommt. Das ist die Kernfamilie, um die es geht. Härtefälle."

Diese Menschen sollen auch in Zukunft nach Deutschland kommen dürfen, so haben es Grüne und SPD in ihren Wahlprogrammen festgehalten. Kaum vorstellbar, dass sie vor der Wahl von ihren Positionen abrücken. Zumal auch der Kanzler verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet hat.

Stattdessen schlägt die SPD vor, weitere Migrations- und Sicherheitsgesetze - mit denen sich Bundestag und Bundesrat schon befasst haben - zu einem großen Paket zusammenzuschnüren.

Habeck setzt auf Konsens-Signal

Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck zeigt sich offen für eine Zusammenarbeit. "Wir könnten jenseits des Streits einmal ein Signal senden, dass es einen stabilen demokratischen Konsens der Mitte immer noch gibt", sagte er in der ZDF-Sendung Markus Lanz.

Bei Scholz, Merz und ihm gebe es mehr Übereinstimmendes als Trennendes etwa bei den Themen Ukraine und Strompreis-Entlastungen. Vielleicht gelinge es Scholz, Merz und ihm, drei vier Punkte zu identifizieren - vor dem Ende des Wahlkampfs, so Habeck.

Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst rief in der Migrationsdebatte zur Mäßigung auf. "Der Ton zwischen den demokratischen Parteien muss jetzt wieder versöhnlicher werden", sagte der CDU-Politiker dem Kölner Stadt-Anzeiger. Nach der Bundestagswahl müsse es wieder möglich sein, an einem Tisch zu sitzen und vertrauensvoll über eine Regierungsbildung zu verhandeln.

Wahltaktik von der FDP?

Vor der Neuwahl stellt sich aber weiter die Frage: Welche Aussichten hat der Vorstoß der FDP noch? Die Initiatoren selbst sind mittlerweile skeptisch. "Ich bedaure, dass offenbar nur die Unionsfraktion bereit ist, in der kommenden Woche noch vor der Wahl eine echte Migrationswende mit der FDP voranzubringen", sagte Johannes Vogel, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion.

Allerdings zeigte sich CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bei Welt TV unbeeindruckt von dem Vorstoß der Liberalen. Für ihn ist der der Kompromissvorschlag der FDP bloß ein wahltaktisches Manöver. "Und wir haben nur noch einen Sitzungstag, also auch das sieht für mich wie Wahltaktik aus", sagte der CDU-Politiker. "Die Leute haben letzte Woche gesehen, wer wo wie steht."

Und da werden sie wohl auch stehen bleiben, anstatt sich aufeinander zuzubewegen. Damit bleibt es unwahrscheinlich, dass der Bundestag vor der Wahl noch Gesetze zu Migrationspolitik verabschiedet.

Birthe Sönnichsen, ARD Berlin, tagesschau, 05.02.2025 08:30 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 04. Februar 2025 um 18:29 Uhr.