
Bundestagswahl 2025 ++ Miersch kündigt SPD-Mitgliederentscheid an ++
SPD-Generalsekretär Miersch will die Parteibasis über eine mögliche Koalition abstimmen lassen. Noch diese Woche könnten dazu Gespräche beginnen, sagt Unions-Fraktionsvize Spahn im ARD-Morgenmagazin. Die Entwicklungen im Liveblog.
Die wichtigsten Entwicklungen:
- Miersch kündigt SPD-Mitgliederentscheid an
- Strack-Zimmermann offen für Parteivorsitz
- Spahn: "Bis Ostern eine Regierung wäre gut."
- AfD in fünf Ost-Flächenländern stärkste Kraft
- Greenpeace: Merz muss an Heizungsgesetz festhalten
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, bremst in der Debatte über eine schnelle Reform der Schuldenbremse. "Ich bin nicht der Auffassung, dass es notwendig ist, die Schuldenbremse zu reformieren", sagt Frei vor der CDU-Präsidiumssitzung. Der Staat habe etwa 1.000 Milliarden Euro Steuereinnahmen pro Jahr. "Deswegen erfordert die Situation eine Neupriorisierung staatlicher Aufgaben. Das ist anstrengend, das ist anspruchsvoll, aber dem muss sich auch eine neue Bundesregierung unterziehen."
Sachsen-Anhalts CDU-Landeschef Sven Schulze hat sich entsetzt über das Wahlergebnis der AfD im Osten geäußert. "Das Ergebnis zeigt, dass Deutschland politisch zweigeteilt ist", sagt der Wirtschaftsminister Schulze vor der CDU-Präsidiumssitzung. "Im Osten haben wir ein Problem." Die Union brauche einen stärkeren Fokus auf Ostdeutschland, sowohl inhaltlich als auch personell. "Wir brauchen definitiv auch Personen aus Ostdeutschland, die für Ostdeutschland stehen."
Die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel spricht von einem historischen Erfolg ihrer Partei. Sie verweist auf das starke Abschneiden unter den Jungwählern und erklärt: "Das ist ein starker Indikator, dass wir die Partei der Zukunft sind." Die AfD habe beste Chancen in den nächsten Jahren die Union zu überholen. Sie wirft CDU/CSDU erneut eine Blockade-Haltung wegen der Absage an eine Zusammenarbeit vor.
Die AfD habe seit der Europawahl 2013 immer weiter an Stimmen zugelegt, sagt ARD-Wahlexperte Jörg Schönenborn. Das sei von einer gesellschaftlichen Stimmung getragen, die über das aktuelle Wahlergebnis von 20,80 hinausgehe. Was die stärkere Begrenzung der Migration angeht, traue rund die Hälfte der Bevölkerung der AfD Kompetenzen zu. Dennoch sei eine Mehrheit der Deutschen gegen eine Regierungsbeteiligung der Partei.
Ernst: Werten das Ergebnis als Erfolg
"Das ist kein schlechtes Ergebnis", sagt Klaus Ernst über das knappe Scheitern des BSW an der Fünf-Prozent-Hürde. Man sei bereits in drei Landtagen vertreten und im Europaparlament. "Wir nehmen das Ergebnis als Erfolg, werden die Partei jetzt aufbauen und sind beim nächsten Mal wieder dabei." Von der namensgebenden Sahra Wagenknecht verabschieden wolle sich die Partei nicht, betonte er.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) fordert nach der Bundestagswahl rasch Reformen. "Insbesondere auf dem Feld der Wirtschaftspolitik sind jetzt dringend wichtige Weichenstellungen erforderlich", sagte DIHK-Präsident Präsident Peter Adrian. "Dieser Kurswechsel ist überfällig." Der Neustart nach der Bundestagswahl sei eine Chance, bisherige Blockaden aufzulösen und einen gemeinsamen Weg aus der Wirtschaftskrise zu finden. Angesichts der fortdauernden Rezession dränge die Zeit. "Die Wirtschaft setzt auf eine möglichst zügige Regierungsbildung", sagte Adrian. "Die Unternehmen in Deutschland erwarten einen Reformkurs für mehr Investitionen und bessere Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wachstum, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit."
Angesichts der globalen Herausforderungen brauchten die deutschen Unternehmen eine handlungsfähige Bundesregierung, die sich entschlossen auf europäischer und internationaler Ebene engagiere. Deshalb hofften die Betriebe auf schnelle Klarheit. "Konkret müssen in den Unternehmen spürbare Entlastungen bei Bürokratie und Abgaben ankommen – statt wie zuletzt immer neue Berichtspflichten, Auflagen und Einschränkungen", forderte der DIHK-Präsident. "Wenn die künftige Regierung schnell und klar diesen Kurswechsel einleitet, werden wir auch wirtschaftlich wieder erfolgreicher sein.
Die Ministerpräsidenten der baltischen Staaten haben Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zu seinem Wahlsieg gratuliert. "Herzlichen Glückwunsch", schrieb der estnische Regierungschef Kristen Michal auf Deutsch auf der Plattform X. "Wir freuen uns auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit für ein sicheres, stärkeres und einiges Europa". Ähnlich äußerten sich auch Evika Silina (Lettland) und Gintautas Paluckas (Litauen), deren Länder wie Estland an Russland und zudem noch an dessen Verbündeten Belarus grenzen. "Ich wünsche eine zügige Regierungsbildung", schrieb Silina. Paluckas setzt darauf, dass die "besonders fruchtbare Partnerschaft in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit" weiter gedeihen werde. In Litauen, das wie Estland und Lettland der EU und Nato angehört, wird künftig eine gepanzerte Brigade der Bundeswehr fest stationiert sein.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch erwartet schwierige Verhandlungen mit der Union über die Bildung einer neuen Bundesregierung. Zugleich kündigte er eine Mitgliederentscheidung seiner Partei an. Miersch sagte im ARD-Morgenmagazin: "Es gibt keinen Automatismus, aber die demokratische Mitte muss natürlich versuchen, in diesen Zeiten auch zusammenzuarbeiten." Die SPD werde sehen, wie Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sich jetzt verhalte in den Gesprächen. "Dann werden wir das davon abhängig machen, ob es tatsächlich zusammengeht, ja oder nein. Am Ende, das steht fest, steht eine Mitgliederentscheidung der SPD."
Er nannte als mögliche Knackpunkte die Stabilisierung der Rente und die Frage, ob man die große Masse der Bevölkerung steuerlich entlaste. Der SPD-Generalsekretär kündigte außerdem an, dass es bei der SPD nach dem Wahldebakel weitere personelle Konsequenzen gebe. Er verwies darauf, dass die SPD-Führung Parteichef Lars Klingbeil als neuen Fraktionschef vorgeschlagen habe. "Ich bin mir sehr sicher, dass auch um den Fraktionsvorsitz drumherum Dinge entstehen beziehungsweise Positionen auch neu besetzt werden."
Nach dem Sieg der Union bei der Bundestagswahl hat die Gewerkschaft ver.di die kommende Bundesregierung aufgefordert, den Sozialstaat zu stärken. "Ein solider Sozialstaat steht für Vertrauen und Verlässlichkeit und ist das beste Bollwerk gegen Extremismus", erklärte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke am Montag. Zu den "lebenswichtigen Themen", die nach dem auf Migration zugespitzten Wahlkampf wieder auf die Tagesordnung müssten, gehörten auch die Sicherung der Handlungsfähigkeit der Kommunen und eine Reform der Schuldenbremse.
Konkret forderte Werneke unter anderem eine "nachhaltige Stabilisierung des Rentenniveaus bei mindestens 48 Prozent" und die Verabschiedung des Bundestariftreuegesetz. Die bisherige Bundesregierung habe zwar Reformen angestoßen, sich aber "vielfach selbst blockiert", erklärte der ver.di-Bundeschef. Es sei nun "an der Union, zusammen mit den demokratischen Parteien eine Regierungsmehrheit zu suchen".
"Ich glaube, es hat viel damit zu tun, dass wir 30.000 neue Mitglieder gewonnen haben", sagt Jan van Aken im ARD Morgenmagazin über das Wahlergebnis der Linken. Außerdem habe man von Anfang an mit klarer Sprache über Themen wie Mieten und hohe Preise gesprochen, die die Menschen bewegen.
Natürlich sei die Linke gesprächsbereit, wenn es um mögliche politische Zusammenarbeit mit der zukünftigen Regierung gehe. Die Schuldenbremse müsse natürlich weg. Aber Friedrich Merz müsse sich warm anziehen, denn "bei allen Angriffen auf Arbeitnehmerrechte, auf Bürgergeldempfänger und Migration werden wir starke Opposition sein."
Angesichts des schlechtesten Wahlergebnisses in der Geschichte der SPD ist aus Sicht von Vizechefin Klara Geywitz eine klare Aufarbeitung erforderlich. "Da kann man sich nicht schütteln und sagen: war schlecht, wir machen weiter wie bisher. Es sind ja ganz bittere Ergebnisse, wenn sie sehen, dass die AfD vor der Sozialdemokratie liegt, muss uns das umtreiben", sagte Geywitz dem Bayerischen Rundfunk. Zugleich wies die noch amtierende Bundesbauministerin darauf hin, dass die SPD bei der Bundestagswahl viele Mandate verloren hat. "Das wird die Partei in der Fläche vor große Probleme stellen."
Geywitz erwartet schwierige Koalitionsgespräche mit der Union. "Die CDU von Friedrich Merz hat ja ein Wahlprogramm vorgelegt, was zusätzliche Milliardenlücken in den eh schon angespannten Haushalt reißen würde", sagte die SPD-Politikerin im RBB-Inforadio. "Insofern sind wir da am Anfang eines sehr schwierigen Prozesses, dessen Ergebnis noch offen ist aus meiner Sicht." Sie schließe eine Koalition nicht aus, so Geywitz. Aber mit Blick auf Steuersenkungen für Besserverdiener im Wahlprogramm der CDU und die aktuelle Haushaltssituation gebe es große Unterschiede.
EU-Ratspräsident António Costa hat Friedrich Merz zum Sieg bei der Bundestagswahl gratuliert. Er freue sich darauf, eng mit ihm zusammenzuarbeiten, um Europa stärker, erfolgreicher und autonomer zu machen, erklärte Costa im Onlinedienst X. "Dies mögen herausfordernde Zeiten sein", schrieb er weiter. "Aber ich weiß, dass die Europäische Union, wie in der Vergangenheit, liefern und gestärkt daraus hervorgehen wird."
"Zufrieden kann man nicht sein mit dem Ergebnis", sagt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir im ARD Morgenmagazin über das Ergebnis der Grünen bei der Bundestagswahl. Damit sei die Aufgabe des nächsten Bundestags beschrieben: "Verhindern, dass die AfD noch stärker wird und wir österreichische Verhältnisse bekommen."
Eine mögliche Zusammenarbeit mit der Union ist für den Grünen-Politiker nach wie vor zukunftsfähig. In den Bundesländer regierten Grüne und die Union sehr erfolgreich miteinander, weil es andere Umgangsformen gebe als in Berlin. "Wir sehen, dass wir die Probleme nur gemeinsam lösen können. Wir brauchen einander." Der politische Mitbewerber sei kein Feind, so Özdemir. Gegner seien nur die, die Deutschland unter die Herrschaft Putins stellen wollten. "Der Kurs der Mitte ist der richtige Kurs für die Grünen."
Außerdem schlägt Özdemir vor, dass der bestehende Bundestag noch eine Reform der Schuldenbremse beschließen könnte. "Wir haben keine Zwei-Drittel-Mehrheiten mehr im neuen Deutschen Bundestag, um die Verfassung zu ändern, damit wir mehr für Bildung, mehr für Infrastruktur, mehr für Verteidigung tun können. Wir könnten aber noch in diesem Monat mit dem bestehenden Bundestag uns zusammensetzen mit Bündnis 90/Die Grünen, mit der CDU/CSU, mit der SPD, um dafür sorgen, dass wir mehr ausgeben können für die Landesverteidigung."
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas hat nach der Bundestagswahl ihre Hoffnung auf eine rasche Regierungsbildung zum Ausdruck gebracht. Sie hoffe, dass es "so schnell wie möglich" eine neue Regierung gebe, sagte Kallas vor einem Treffen der EU-Außenminister in Brüssel. Auf europäischer Ebene müssten Entscheidungen vorangetrieben werden, "das erfordert deutsche Zusammenarbeit", sagte sie. Kallas erwartet nach eigenen Worten eine "enge Zusammenarbeit" mit der neuen Bundesregierung.
Christian Lindners angekündigter Rücktritt sei nicht das Ende der FDP, sagt der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Frakion Konstantin Kuhle im ARD Morgenmagazin. Im neuen Bundestag, in den es die FDP nicht geschafft hat, werde es eine Lücke geben. Große Koalitionen hätten immer Schwierigkeiten, das Land voranzubringen. "Es wäre gut, eine liberale Kraft der Mitte dabei zu haben."
Für das schlechte Ergebnis der Partei gebe es viele Gründe. So habe die Partei 2017 und 2021 für einen Zukunftsoptimismus gestanden hat, der beim Wahlkampf 2025 keine Rolle mehr gespielt habe. "Das äußert sich dann mit Verlusten bei jungen Wählern, auch älteren Wählern, bei Frauen, bei Selbstständigen. Das wird man jetzt in Ruhe aufarbeiten müssen."
Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat sich nach dem angekündigten Rücktritt des FDP-Chefs Christian Lindner offen für eine Übernahme des Parteivorsitzes gezeigt. "Ich stehe voll und ganz hinter der FDP und werde dort in der Partei Verantwortung übernehmen, wo es notwendig ist und wo es gewünscht wird", sagte die EU-Abgeordnete der Bild-Zeitung. Wichtig sei, dass "wir geschlossen und mit klarem Kurs auftreten", fügte Strack-Zimmermann hinzu. Sie betonte zugleich, sie sei mit ihren "wichtigen Aufgaben in Europa" und als Mitglied des FDP-Präsidiums "mehr als ausgelastet".
Nach den Zugewinnen für die AfD vor allem im Osten Deutschlands werde man zuerst dort perspektivisch eine Regierung stellen, sagt AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla im ARD Morgenmagazin. "Da sind wir gestern einen Schritt näher gekommen." Die ostdeutschen Ministerpräsidenten sollten sich jetzt überlegen, wie sie mit diesem Wahlergebnis umgeben.
Auf Bundesebene werde die AfD ihre Aufgabe als Oppositionsführer ernst nehmen. Mit ihren Themen und Inhalten sei die Partei sehr wohl anschlussfähig und sie rede mit allen, so Chrupalla. "Wer Brandmauern errichtet, wird dahinter selbst gegrillt, das wird Herr Merz jetzt schon noch erleben."
Die erste Botschaft des Abends sei, dass die Ampel abgewählt wurde, sagt Unions-Fraktionsvize Jens Spahn im ARD Morgenmagazin. "Die zweite Botschaft ist, es ist ziemlich viel Vertrauen verloren gegangen." Das sehe man an den starken Ergebnissen von AfD und den Linken. Um das wiederzugewinnen, ginge es jetzt um Themen wie die Begrenzung illegaler Migration, Wirtschaftswachstum und Reformen beim Bürgergeld. "Mein Eindruck ist, dass auch sozialdemokratische Wähler das genauso sehen."
Die erste wichtige Frage an die SPD sei, ob man ein gemeinsames Verständnis über die Probleme im Land habe. Dabei ginge es nicht zuerst um das Wahlprogramm der Union, sondern um das, was die Bürger dem Wahlergebnis zufolge bewege. "Wir werden Kompromisse machen müssen", so Spahn. Aus seiner Sicht könnten noch in dieser Woche Koalitionsgespräche mit der SPD gewinnen. "Bis Ostern eine Regierung wäre gut."
"Der Frust hat sich verdoppelt", Jens Spahn, stellv. Vorsitzender CDU/CSU-Fraktion, zum Wahlergebnis
Die FDP sei sehr auf Christian Lindner zugeschnitten gewesen, sagt ARD-Korrespondent Henrik Hübschen im ARD Morgenmagazin. Mit seinem angekündigten Rücktritt entstehe ein großes Vakuum, zumal viele weitere prägende Mitglieder ihr Bundestagsmandat verloren haben. "Bei der Neuaufstellung ist jetzt die Frage, wer kann überhaupt Full-Time Politik machen?" Die FDP-Europa-Abgeordnete Maria Agnes Strack-Zimmermann werde jetzt als mögliche zukünftige Parteispitze gehandelt.
Das Wahlergebnis für die SPD "tut am Morgen danach noch genauso weh wie gestern Abend", sagt Anke Rehlinger, saarländische Ministerpräsidentin und stellvertretende SPD-Chefin im ARD Morgenmagazin. Die SPD werde, wenn es eine gute Grundlage gebe, zu Gesprächen mit der Union bereit sein. "Am Ende des Tages müssen wir handlungsfähig sein", so Rehlinger. Da könne man nicht nur Wunden lecken. "Eine Flucht in die Regierung ist auch nicht ohne weiteres das Sinnvolle. Es braucht eine gute, verlässliche Basis."
Als möglicher neuer Parteivorsitz stehe sie "aktuell" nicht zur Verfügung. Mit Saskia Esken gebe es eine SPD-Parteivorsitzende.
Cosima Gill über die SPD-Wahlparty
Bei der Prognose gab es fassungslose Gesichter in der SPD-Parteizentrale, berichtet ARD-Korrespondentin Cosima Gill. "Man konnte wirklich merken, dass es ein Schock war für die Genossen."
Insgesamt habe die Union bei der Bundestagswahl nicht das Ergebnis erreicht, dass sie gerne gesehen hätte, sagt der Politologe Stefan Marschall im ARD-Morgenmagazin. Das liege auch an Erblasten beim Thema Migration. Bei der SPD sieht er einen Teil der Verantwortung für das Ergebnis beim Kanzlerkandidaten. Man könne nicht behaupten, dass Olaf Scholz ein Zugpferd für die SPD gewesen sei, so Marschall. "Insofern war es vielleicht keine optimale Entscheidung, ihn zum Kanzlerkandidaten zu machen."
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig von der SPD erwartet in ihrer Partei eine Entscheidung der Basis über eine mögliche Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten. "Wenn Koalitionsgespräche zu Ergebnissen führen, dann glaube ich, würde am Ende ein Mitgliederentscheid stehen", sagte Schwesig dem Portal Politico. Aus ihrer Sicht sei es "total offen", ob die SPD mit der Union unter CDU-Chef Friedrich Merz koalieren werde.
"Zunächst braucht es Gespräche", stellte Schwesig klar. "Dann muss man sondieren, ob man überhaupt in Koalitionsgespräche geht." Klar sei jedoch: "Der Regierungsauftrag liegt jetzt bei Friedrich Merz." Dieser müsse sich jetzt Gedanken darüber machen, "mit wem und wie er eine stabile Regierung für Deutschland bilden will." Das Vertrauen in Merz sei "nicht groß", sagte Schwesig auch. "Das sehen viele so in der SPD und deswegen, glaube ich, braucht man erstmal Gespräche, um überhaupt auszuloten: Wie will man regieren?" Letztlich müssten Demokraten in der Lage sein, sich thematisch bei allem zu einigen. Dabei gelte aber auch: "Wichtig ist eine Vertrauensbasis."
ZdK: Brauchen Kanzler, der eint
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) gratulierte CDU-Chef Friedrich Merz zum Wahlsieg. "In Zeiten einer besorgniserregenden Fragmentierung der Gesellschaft brauchen wir in Deutschland jetzt einen Kanzler, der eint. Der europäisch denkt. Und der einem vielfältigen Land mit großen Herausforderungen Hoffnung gibt", sagte die Präsidentin des Laien-Dachverbands, Irme Stetter-Karp, auf Anfrage. Zugleich betonte sie: "Wer Zukunft will, darf in dieser Situation nicht zurück in die Vergangenheit. Nicht bei der Klimapolitik. Nicht bei der Wirtschafts- und auch nicht bei der Sozialpolitik."
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, ruft nach der Bundestagswahl zu Zusammenhalt auf. "Die Tage und Wochen vor der Wahl waren geprägt von stark emotionalisierten Debatten, die die gesellschaftliche Stimmung aufgeheizt und polarisiert haben. Jetzt nach der Wahl stehen die Parteien der demokratischen Mitte vor der anspruchsvollen Aufgabe, mit diesem Wahlergebnis konstruktiv und verantwortungsvoll umzugehen", sagte die Hamburger Bischöfin am Sonntagabend. Sie hoffe, dass eine neue Regierung die politischen Rahmenbedingungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein weltoffenes Deutschland stärkt, in dem Menschenwürde und wechselseitiger Respekt zählen.
Fehrs erklärte weiter: "Die hohe Wahlbeteiligung zeigt: Viele Menschen wissen, wie wichtig es gerade in diesen unsicheren Zeiten ist, sich politisch zu beteiligen." Zugleich sei sie sehr besorgt darüber, dass extremistische Positionen größere Zustimmung gefunden haben als bei vorhergehenden Wahlen. Völkische Parolen und menschenverachtende Haltungen seien mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar.
Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann fordert nach der Niederlage ihrer Partei bei der Bundestagswahl eine Neuorientierung. "Ich glaube, dass wir uns thematisch breiter aufstellen müssen, nachdem wir uns im Wahlkampf thematisch so verengt haben - und auch die Bürgerrechte wieder mehr ins Zentrum stellen müssen", sagte Strack-Zimmermann der Nachrichtenagentur dpa. Die FDP hat den Wiedereinzug in den Bundestag verpasst.
Strack-Zimmermann sagt dazu: "Die außerparlamentarische Opposition ist ganz hart. Ich habe das schon mal miterleben müssen, allerdings in einer völlig anderen Weltlage." Sie machte deutlich, dass sie weiter fest an eine Zukunft der FDP glaube. "Ich bin zutiefst überzeugt, dass einige große Augen machen werden, was jetzt in den nächsten Wochen passiert. Die große Wende wird definitiv nicht kommen", sagte Strack-Zimmermann. "Das bedeutet, dass wir den Menschen in Deutschland klar machen müssen, dass der organisierte Liberalismus von entscheidender Bedeutung ist."
Parteien beraten über nächste Schritte
Die Spitzengremien der Parteien beraten heute über das Ergebnis der Bundestagswahl. Wahlsieger Friedrich Merz will am Vormittag mit CDU-Präsidium und -Vorstand das weitere Vorgehen auf dem Weg zur angestrebten Regierungsbildung abstecken. Gegen 13.30 Uhr will er vor die Presse treten. Auch die SPD des abgewählten Kanzlers Olaf Scholz kommt am Vormittag zu Beratungen zusammen. Dabei dürfte es unter anderem um die personelle Neuaufstellung gehen, die Parteichef Lars Klingbeil am Wahlabend ankündigte. Scholz, Klingbeil und Ko-Parteichefin Saskia Esken luden für 13.00 Uhr zu einer Pressekonferenz.
Um personelle Konsequenzen dürfte es auch bei der FDP gehen, nachdem Parteichef Christian Lindner für den Fall eines Nichteinzugs in den Bundestag seinen Abschied aus der Politik ankündigte. Die Partei hat für 14 Uhr eine Pressekonferenz angesetzt. Auch die Spitzen der weiteren Parteien stellen sich im Lauf des Vormittags den Fragen der Medien.
Greenpeace hat Wahlsieger Friedrich Merz aufgefordert, als wahrscheinlich nächster Bundeskanzler am Heizungsgesetz und einem günstigen Deutschlandticket festzuhalten. "Elementar wird es für sie sein, sich für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen - auch und gerade für zukünftige Generationen - einzusetzen", schreibt Greenpeace-Deutschland-Chef Martin Kaiser in einem Brief an den CDU-Chef und Kanzlerkandidaten der Union.
Die Organisation sendete ihn noch am Wahlabend ab. Das Gebäudeenergiegesetz sowie der Kompromiss, ab 2035 keine neuen Verbrenner in der EU zuzulassen, "geben der Wirtschaft langfristige Planungssicherheit, sind erreichbar und dürfen nicht gekippt oder aufgeweicht werden", schreibt Kaiser. Auch am Ziel Deutschlands, bis 2045 klimaneutral zu werden, müsse Merz festhalten.
Greenpeace fordert Merz außerdem auf, "ein dauerhaft günstiges Deutschlandticket und ein verlässliches Mindestangebot an Bus und Bahn, damit auch abgelegene Regionen wieder Anschluss finden", sicherzustellen. Zur Finanzierung der Transformation sei es notwendig, die Schuldenbremse zu reformieren und sehr hohe Vermögen sozial gerechter zu besteuern.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist bei der Bundestagswahl nach Auszählung aller Wahlkreise an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Mit 4,972 Prozent verpasste die Partei den Einzug in den Bundestag, wie aus dem auf der Internetseite der Bundeswahlleiterin veröffentlichten Zwischenergebnis hervorgeht. Demnach fehlten der Partei etwa 13.000 Stimmen. Damit hätte eine mögliche Zweier-Koalition aus den Unionsparteien und der SPD eine Mehrheit im Bundestag.
Welche Parteien haben sich in den sozialen Medien besonders gut geschlagen? Amelie Marie Weber aus der Social-Media-Redaktion blickt zurück.
Klimawandel, Wirtschaft, Sicherheitspolitik: Es warten schwierige Aufgaben auf die neue Bundesregierung. Marc Feuser über die Probleme, für die sie Lösungen finden muss.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat im Wahlkreis Leverkusen - Köln IV die meisten Stimmen geholt. Nach vorläufiger Auszählung entfielen auf ihn 33,9 Prozent der Erststimmen. Ob er allerdings tatsächlich ins Parlament einzieht, hängt nach dem erstmals angewendeten neuen Wahlrecht von den Zweitstimmen seiner Partei ab und entscheidet sich daher erst mit dem am Abend noch ausstehenden vorläufigen amtlichen Ergebnis.
Die AfD ist bei der Bundestagswahl in allen fünf ostdeutschen Flächenländern stärkste Kraft geworden. Das geht nach Auszählung aller Wahlbezirke aus Daten der Landeswahlleiter in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen hervor.
CDU stärkste Kraft in Niedersachsen
Die CDU ist bei der Bundestagswahl in Niedersachsen mit 28,1 Prozent der Zweitstimmen klar stärkste Kraft geworden. Auf Rang zwei folgt dem vorläufigen Ergebnis zufolge die SPD mit 23,0 Prozent, auf Platz drei die AfD mit 17,8 Prozent und dahinter die Grünen (11,5 Prozent), Linke (8,1 Prozent), FDP (4,1 Prozent) und BSW (3,8 Prozent).
Bayern: CSU gewinnt klar vor AfD
Die CSU ist bei der Bundestagswahl in Bayern mit großen Stimmengewinnen stärkste Kraft geworden und hat damit ihren jahrelangen Abwärtstrend beenden können. Nach Auszählung aller 47 Wahlkreise liegen die Christsozialen unter ihrem Parteichef Markus Söder nach Angaben des Landeswahlleiters auf dessen Internetseite bei 37,2 Prozent - das sind mehr als fünf Prozentpunkte mehr als vor vier Jahren. 2021 war die CSU mit 31,7 Prozent auf ein historisch schlechtes Ergebnis abgestürzt.
Am rechten Rand konnte die AfD laut Landeswahlleiter ihren Stimmanteil auf 19,0 Prozent mehr als verdoppeln. Einmal mehr enttäuscht in seinem bundespolitischen Ehrgeiz wurde Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger: Laut Landeswahlleiter verloren die Freien Wähler mit 4,3 Prozent deutlich.
Einschätzungen aus der Wirtschaft
Wie blickt die Wirtschaft auf die Wahlergebnisse? Ein Gespräch mit der DGB-Vorsitzenden Yasmin Fahimi und den Vorsitzenden des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, Christoph Ahlhaus.
Die AfD ist in Mecklenburg-Vorpommern erstmals bei einer Bundestagswahl stärkste Kraft geworden und hat auch alle sechs Wahlkreise für sich entschieden. Dem vorläufigen Endergebnis zufolge erreichte die Partei im Nordosten 35,0 Prozent der Stimmen. Sie verdoppelte damit ihr Ergebnis von 2021 und verdrängte im Land die SPD, die herbe Verluste erlitt, vom Spitzenplatz.
Der Grünen-Bundeschef Felix Banaszak hat bei der Bundestagswahl in seinem Heimat-Wahlkreis im Duisburger Norden die Mehrheit und damit die Chance auf ein Direktmandat verpasst. Der 35-Jährige erreichte 7,0 Prozent der Stimmen. Bei der vergangenen Wahl 2021 war er auf 10,9 Prozent der Erststimmen gekommen.
SPD-Chef Lars Klingbeil hat als Direktkandidat im Wahlkreis Rotenburg I - Heidekreis mit Abstand die meisten Stimmen erhalten. Der Parteivorsitzende bekam nach Angaben der Landeswahlleitung 42,1 Prozent der Erststimmen. Damit landete er klar vor der CDU-Kandidatin Vivian Tauschwitz mit 27,3 Prozent.
Das sind die Gewinner des Wahlabends
Unions-Kanzlerkandidat Merz hatte sich mehr erhofft. Seine Partei ist dennoch klare Gewinnerin der Wahl. Die AfD feiert ihr Ergebnis - und streckt der Union die Hand aus. Die Linke jubelt über einen unerwarteten Erfolg.
Die AfD hat bei der Bundestagswahl in Sachsen-Anhalt mit Abstand die meisten Stimmen bekommen. Die vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Partei kommt nach Auszählung aller Stimmen auf 37,1 Prozent, wie aus Daten des Landeswahlleiters hervorgeht.
Analyse: Wer wählte was - und warum?
Wem hat die AfD ihren Erfolg zu verdanken? Und hätte die SPD mit Pistorius mehr erreicht? Eine Analyse von Holger Schwesinger:
AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel hat ihren Erststimmen-Anteil in ihrem Wahlkreis am Bodensee auf 20,4 (2021: 9,2) Prozent mehr als verdoppelt. Trotzdem unterlag sie dem CDU-Wahlkreisabgeordneten Volker Mayer-Lay (40,0 Prozent) deutlich. Über die baden-württembergische Landesliste, wo sie auf Platz eins steht, dürfte sie aber den Einzug in den Bundestag schaffen. Weidel hat ihren deutschen Wohnsitz in Überlingen am Bodensee.
Die Linke hat die Bundestagswahl in Berlin gewonnen. Sie wurde stärkste Partei vor CDU, Grünen, AfD, SPD und BSW, wie aus der Internetpräsentation der Landeswahlleitung hervorgeht.
Nach Auszählung aller Wahlgebiete kam die Linke auf 19,9 Prozent der Zweitstimmen. Sie ist damit fast doppelt so stark wie bei der Wahl 2021 inklusive der Teilwiederholung 2024. Gewonnen hat sie bei Bundestagswahlen in Berlin noch nie, zuletzt lag sie auf Platz vier. Mit knappen Abständen folgen CDU, Grüne, AfD und SPD.
Besonders bitter ist das Ergebnis für die SPD, die die letzte Wahl noch gewonnen hatte: 15,1 Prozent bedeuten nur Platz fünf und das schlechteste Ergebnis bei Bundestagswahlen in Berlin seit 1990.
Der britische Premierminister Keir Starmer hat Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) zum Sieg bei der Bundestagswahl gratuliert. Er freue sich darauf, mit der neuen Bundesregierung zusammenzuarbeiten, "um unsere bereits engen Beziehungen zu vertiefen, unsere gemeinsame Sicherheit zu verbessern und für beide Länder Wachstum zu schaffen", schrieb Starmer am Sonntagabend im Onlinedienst X.
Komplizierte Koalitionen, der Kandidatenfaktor und ein Überraschungserfolg - welche Lehren lassen sich aus der Bundestagswahl ziehen?
Hauptgründe für das Wahlergebnis
Welche Themen waren wichtig? Welche Rolle spielten die Spitzenkandidaten? Und welche Koalition bevorzugen die Menschen? Antworten geben die Grafiken von infratest dimap.
Analyse: Wie die Wählenden wanderten
Die Grafiken zur vorläufigen Wählerwanderung: