
Schwarz-rote Pläne Die Nebenwirkungen von hohen neuen Schulden
Zusätzliche Staatsschulden sollen es Deutschland ermöglichen, Hunderte Milliarden in Verteidigung und Infrastruktur zu investieren. Das wird Folgen haben, die auch im Alltag zu spüren sein werden.
Deutschland soll gewaltig investieren können - in Verteidigung, in Infrastruktur. Aber was werden die wirtschaftlichen Folgen der enormen neuen Schulden sein, mit denen das möglich gemacht werden soll? Nach der Einigung von Union und SPD auf ein milliardenschweres Finanzpaket und die Lockerung der Schuldenbremse ist der Anleihemarkt in den Blickpunkt gerückt.
Direkt nach Bekanntwerden der schwarz-roten Pläne stieg die Rendite der zehnjährigen deutschen Bundesanleihe über Nacht um 20 Basispunkte. Am Rentenmarkt ist das viel: Üblicherweise sind hier die Entwicklungen moderater als bei Aktien. Der Anstieg bedeutet, dass es für Deutschland teurer wird, seine Staatsschulden zu finanzieren.
Schon seit Wochen bemerken Marktbeobachter einen Trend in diese Richtung. "Die Renditen europäischer Staatsanleihen steigen, auch aus Sorge vor steigenden Staatsschulden für Rüstung", sagt Arthur Brunner, Anleihen-Experte der ICF Bank, im Gespräch mit tagesschau.de. Denn Deutschland häufe "einen Riesenschuldenberg an, und diese Schulden müssen bezahlt werden".
Wer die neuen Staatsanleihen kaufen könnte
Andere Länder würden voraussichtlich nachziehen und ebenfalls Staatsanleihen herausgeben, um in Rüstungsprojekte zu investieren. "Die EU will in diesem Jahr Anleihen für die gemeinsame Verteidigung von 150 Milliarden Euro begeben", so Brunner.
Doch wer soll diese Anleihen kaufen? Auf der anderen Seite des Atlantiks locken schließlich US-Anleihen, die Investoren mehr Zinsen bringen. Tatsächlich beträgt der Abstand zwischen US-Staatsanleihen über zehn Jahre Laufzeit und den gleich lang laufenden Bundesanleihen derzeit gut 1,5 Prozent. "Der US-Anleihenmarkt bleibt durch den starken Dollar und die starke US-Wirtschaft attraktiv", urteilt Brunner. "Aber Käufer für europäische, insbesondere deutsche Anleihen, gibt es immer." Nach seiner Einschätzung sind das Staatsfonds wie Singapur, Versicherer oder Banken. "Allerdings wird es teurer für die Schuldner; sie müssen höhere Zinsen bezahlen."
Nach Einschätzung der Ratingagentur Scope wird Deutschland seine erstklassige Bonitätseinschätzung behalten können. Auch wenn durch das neue Finanzpaket der Schuldenstand bis 2029 auf rund 3,6 Billionen Euro oder rund 72 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steige, bleibe die Schuldenquote noch unter ihrem bisherigen Höchststand von 80 Prozent, der 2010 nach der globalen Finanzkrise erreicht worden sei, sagte Eiko Sievert, Scope-Lead-Analyst für Deutschland, der Nachrichtenagentur Reuters.
Auf dem Weg zu 100 Prozent Schuldenquote?
Doch bleibt es wirklich dabei? Wohl eher nicht, meint Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Er sieht Deutschland in zehn Jahren bei einer Schuldenquote von 90 Prozent, "wobei das auch von der Inflation abhängt und insofern nicht einfach zu prognostizieren ist".
Der Finanzwissenschaftler Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) glaubt gar: "Deutschlands Schuldenquote könnte 2034 die 100-Prozent-Marke überschreiten." Deutschland würde sich "rasch zu den Hochschuldenstaaten der EU gesellen". Derzeit ist Deutschland mit rund 63 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verschuldet - was ein moderater Wert ist im europäischen Vergleich.
Steigende Bauzinsen zu erwarten
Als Konsequenz höherer Renditen für Bundesanleihen müssen Häuslebauer mit steigenden Zinsen rechnen. Die Bauzinsen orientieren sich nämlich an den Renditen langfristiger Anleihen. Steigen diese weiter, wird auch das Bauen oder der Kauf einer Immobilie teurer.
Normalerweise hätte das zur Folge, dass sich der Aufschwung in der Baubranche verzögern könnte. Doch die Bauindustrie dürfte andererseits von dem geplanten 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Instandsetzung der Infrastruktur profitieren. Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer im Zentralverband Deutsches Baugewerbe, sieht in den geplanten Investitionen eine "dringend benötigte Modernisierungsoffensive". "Wir erwarten nicht nur wirtschaftliche Impulse, sondern auch eine Stärkung unserer nationalen Wettbewerbsfähigkeit." Entsprechend stiegen zur Wochenmitte an der Börse Infrastruktur-Aktien wie Heidelberg Materials.
Eines darf nach Einschätzung von Ökonomen dabei nicht vergessen werden: Bei der Infrastruktur müsse das Sondervermögen von einer Beschleunigung der Genehmigungsverfahren begleitet werden. "Insgesamt geht es darum, ein glaubwürdiges Signal in die Privatwirtschaft zu senden, dass der Staat jetzt ernst macht mit der Investitionsoffensive", sagte Jens Südekum, der Internationale Volkswirtschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf lehrt. Fazit: Geld allein reicht nicht.
Inflationsrisiko auch für private Haushalte
Absehbar ist, dass mit den Schulden-Plänen der voraussichtlichen schwarz-roten Koalition noch ein anderes Risiko steigt: das der Inflation. Viele europäische Länder liegen wie Deutschland immer noch über dem Ziel der Notenbank von zwei Prozent Teuerung.
"Wenn eine durch Kredite aufgeblähte Nachfrage auf eine ausgelastete Volkswirtschaft trifft, dann ist das grundsätzlich ein Inflationsrisiko", erklärt Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer im Gespräch mit tagesschau.de. Der Ökonom gibt ein Beispiel: "Bauarbeiter und Handwerker, die von nun an verstärkt Schulen, Kitas oder Schwimmbäder sanieren, fehlen für private Projekte." Die Folge sei, dass Handwerker und Bauarbeiter teurer würden. "Durch Schulden kann man die Knappheit an Ressourcen nicht aufheben."
Positive Effekte für die Konjunktur
Klar dürfte sein, dass eine Erhöhung der Staatsausgaben für Verteidigung und auch Infrastruktur die Wirtschaft insgesamt belebt. Neue Jobs werden so geschaffen - was umso wichtiger werden könnte, als ein etwaiger Handelskonflikt mit den USA schädlich für die Konjunktur wäre. "Eine Steigerung der Verteidigungsausgaben auf drei Prozent bedeutet jährlich weitere 65 Milliarden Euro Zusatzausgaben und schafft beziehungsweise sichert zusätzliche 660.000 Arbeitsplätze in Europa", heißt es etwa in einer Studie der Beratungsgesellschaft EY mit der DekaBank. Steigende europäische Verteidigungsausgaben kämen vor allem Unternehmen in der EU zugute.
Viele Ökonomen weisen auch darauf hin, dass es derzeit kaum wirkliche Alternativen gebe zu neuen Schulden. Denn die nötigen Investitionen sind so hoch, dass eine harte Sparpolitik oder neue Steuern allein nicht ausreichen würden, um das Geld dafür zu beschaffen. Und beides würde das Wirtschaftswachstum abbremsen. "Die zusätzlichen Verteidigungsausgaben vor dem Hintergrund des populistischen Rucks in vielen Ländern können nur begrenzt durch Einsparungen an anderer Stelle oder Steuererhöhungen finanziert werden", urteilt etwa Gilles Moëc, Chefvolkswirt der AXA-Group.