Selenskyj beim EU-Gipfel in Brüssel
analyse

EU-Sondergipfel zur Verteidigung Massive Aufrüstung als Antwort auf Trump

Stand: 07.03.2025 04:35 Uhr

Die EU reagiert mit massiver Aufrüstung auf die außenpolitische Kehrtwende der USA und Trumps Unberechenbarkeit. Bei der Ukraine-Hilfe gibt es jedoch einen Abweichler in Europa.

Der Eklat im Weißen Haus hat das Verhältnis zwischen den USA und der Europäischer Union nicht gebrochen, aber doch hart erschüttert. Nachdem Donald Trump und sein Vizepräsident den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor laufenden Kameras äußerst brüsk angegangen waren, stellten die USA auch noch vorerst ihre Waffenlieferungen ein. Dem wollte EU-Ratspräsident Antonio Costa etwas entgegensetzen und lud zum Sondergipfel.

"Tatsächlich sind die 800 Milliarden erstmal eine Luftnummer", Ralph Thiele, Politisch militärische Gesellschaft, zum EU-Aufrüstungsprogramm

tagesschau24, 07.03.2025 09:00 Uhr

Sind die USA noch Partner oder schon Gegner?

Was also sind die USA für Europa? Diese Frage schwingt in diesen Tagen immer mit. Weiterhin enger Partner und Verbündeter oder doch schon Gegner?

Auch wenn es aktuell nicht erkennbar ist: Aber vielleicht ändert Donald Trump seine Meinung ja wieder? Vielleicht kann die Ukraine wieder auf Waffen und Geheimdienstinformationen aus den USA bauen? Die Aussichten darauf sind vage.

Die EU will unterdessen die Zeit nutzen, um sich selbst für die schlimmsten Szenarien zu wappnen, ohne die Brücke ins Weiße Haus komplett abzureißen. "Deshalb werben wir auch aktiv dafür, dass die USA Teil des Teams sind, das die Ukraine unterstützt, wenn sie sich verteidigt gegen den russischen Angriff", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am späten Abend, als er nach dem Treffen in Brüssel vor die Kameras trat.

Ungarn schert bei Ukraine-Erklärung aus

Solange jedoch das Werben keinen Erfolg liefert, muss und will sich die EU selbst verstärkt um die Unterstützung der Ukraine kümmern. Wobei, um präzise zu sein: 26 der 27 Mitgliedsstaaten wollen das - Ungarn schert wie so häufig aus. Und die anderen Staats- und Regierungschefs am Gipfeltisch hatten offenbar kein Interesse, länglich mit Viktor Orban über einen, womöglich weicher gespülten, Kompromisstext zu verhandeln.

So sind es eben 26 Staaten, die erklären, dass sie die "Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen" weiterhin und uneingeschränkt unterstützen - inklusive Waffenlieferungen. Außerdem fordern sie für eine Beendigung des Krieges unter anderem glaubwürdige Sicherheitsgarantien und dass Friedensverhandlungen nicht ohne ukrainische oder europäische Vertreter stattfinden.

Das Ziel ist, die Ukraine in eine Position größtmöglicher Stärke zu bringen und so "Frieden durch Stärke" zu erreichen. Eine Formel, die so gänzlich anders klingt als das "Frieden schaffen ohne Waffen", das jahrzehntelang auf Aufklebern oder Schildern der Friedensbewegung zu lesen war. Dazu passt, dass Polens Regierungschef Donald Tusk ein "Wettrüsten mit Russland" aufnehmen und gewinnen will.

Scholz für dauerhafte Schulden-Lockerung

Die Europäische Union, die sich selbst oft "Friedensprojekt" nennt, rüstet auf - und zwar massiv. Nicht nur für die Ukraine, sondern auch für die eigene Verteidigung. Das spiegelt die Unsicherheit darüber wider, wieviel Schutz von den USA noch zu erwarten ist.

Als Folge könnten schon bald neue Kredite für die EU-Staaten möglich werden. Ausnahmen der bestehenden Schuldenregeln sollen genutzt werden. Das schafft Spielräume, ohne dass den EU-Ländern Strafverfahren wegen zu hoher Schulden drohen. Die EU-Kommission will diese Lockerung vorerst nur befristet.

Der deutsche Bundeskanzler bringt eine dauerhafte Veränderung in die Diskussion. Dabei galt Deutschland bisher immer als entschiedener Verfechter der Einhaltung der Schuldenregeln. Scholz Argument nun: Die Aufrüstung sei ein Prozess über viele Jahre. Er fordert auch ein Zusammenwachsen europäischer Rüstungsfirmen, was möglich sein soll, ohne dass europäischen Wettbewerbsregeln das verhindern.

Wo Waffen kaufen?

Wenn die EU versucht, bis zu 800 Milliarden Euro für die Verteidigungsfähigkeit und die Unterstützung der Ukraine zu mobilisieren, bleiben noch Fragen unbeantwortet. An welche Bedingungen sollen Waffen- oder Munitionskäufe gebunden sein? Soll das Geld überwiegend bei europäischen Firmen landen und so vor allem die hiesige Industrie fördern? Oder will man auch und gerade in den USA einkaufen, um Trump von seinem bisherigen Kurs abzubringen?

Frankreichs Präsident Emanuel Macron fordert seit langem europäische Souveränität. Und so bekräftigt er erneut seine Bereitschaft, mit französischen Atomwaffen auch andere Länder zu schützen. Er will bis zum Sommer die Möglichkeiten eines atomaren Schutzschildes für Europäer erörtern.

Kanzler Scholz dagegen verweist auch nach dem Sondergipfel auf die bestehende nukleare Abschreckung der NATO, die auf den Atomwaffen der USA basiert. Dass das nicht aufgegeben werden soll, sei die "gemeinsame Auffassung aller zentralen Parteien in Deutschland". Und doch: Friedrich Merz, der voraussichtliche neue Kanzler, hatte durchaus Sympathie auch für die französische Idee bekundet.

Merz war zwar ebenfalls in Brüssel - es gibt Fotos und Videos von seinen diversen Treffen, zum Beispiel mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte oder Ratspräsident Costa. Öffentlich äußern wollte er sich in Brüssel jedoch nicht. Das dürfte sich in absehbarer Zeit ändern. Nach erfolgreicher Regierungsbildung ist er es dann, der zum Gipfel vorfährt und die deutsche Position erläutert. Die Probleme - auch mit den USA - werden bis dahin wohl kaum gelöst sein. Friedrich Merz kann sich also ebenfalls auf eine Zeit als Krisenkanzler einstellen.

Andreas Meyer-Feist, ARD Brüssel, tagesschau, 07.03.2025 05:43 Uhr