Barett der Bundesverfassungsrichter des Ersten Senats.
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Geplantes Finanzpaket Stoppt Karlsruhe die Sondersitzungen des Bundestags?

Stand: 12.03.2025 13:45 Uhr

Union und SPD wollen Hunderte Milliarden Euro an Schulden aufnehmen - mit Sondersitzungen des alten Bundestages. Linke und AfD wollen das verhindern - durch Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht. Die Entscheidung wird bald erwartet.

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Eilanträgen von Linken und AfD gegen geplante Sondersitzungen im Bundestag stehen bevor. Nach Willen von Union und SPD soll das bereits abgewählte Parlament noch dem milliardenschweren und mit Schulden finanziertem Verteidigungs- und Infrastrukturpaket zustimmen. Dazu sind zwei Sondersitzungen geplant, diesen Donnerstag und kommenden Dienstag.

Wann die Richter in Karlsruhe über deren Zulässigkeit entscheiden, ist nicht klar. Erwartet wurde die Entscheidung von vielen für heute, es könne sich aber auch noch hinziehen. Das Gericht teilte mit, vor dem 18.3. eine Entscheidung zu treffen - also vor dem kommenden Dienstag.

Worum geht es?

Bei ihren Sondierungen für eine mögliche künftige Koalition hatten Union und SPD ein schuldenfinanziertes Sondervermögen für Infrastruktur im Umfang von 500 Milliarden Euro sowie eine Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben vereinbart. Die Pläne erfordern Grundgesetzänderungen, für die in Bundestag und Bundesrat Zweidrittelmehrheiten benötigt werden. Im neuen Bundestag - der spätestens am 25. März erstmals zusammentreten muss - käme eine solche Mehrheit nur mit Stimmen der Linken oder der AfD zustande.

CDU, CSU und SPD wollen das Finanzpaket daher noch im alten Bundestag beschließen. In der alten Zusammensetzung ist eine Zustimmung der Grünen notwendig, die ebenfalls keineswegs sicher ist. Auf das Verlangen der Fraktionen von Union und SPD hatte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zu Sondersitzungen des alten Parlaments für diesen Donnerstag und kommenden Dienstag eingeladen.

Wer klagt dagegen?

Beim Bundesverfassungsgericht sind mehrere Klagen gegen diese geplanten Sondersitzungen anhängig. Sowohl die AfD-Fraktion als auch die künftige Linksfraktion haben Organstreitverfahren beantragt und wollen mit Eilanträgen den Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen.

Auch die fraktionslose Bundestagsabgeordnete Joana Cotar (ehemals AfD) sowie fünf AfD-Abgeordnete haben entsprechende Anträge gestellt. Dem Gericht zufolge liegt zudem eine Verfassungsbeschwerde in der Sache vor. Wer diese einreichte, blieb zunächst unklar.

Wie argumentiert die AfD?

In ihrem 85 Seiten langen Antrag an das Gericht argumentieren die Anwälte der AfD-Fraktion, dass die Einberufung des alten Bundestags schon formal nichtig sei. Nach Artikel 39 Grundgesetz können Bundestagspräsidenten das Parlament zu Sondersitzungen einberufen, wenn ein Drittel der Abgeordneten dies verlangt. Die Bundestagspräsidentin hatte das auf Verlangen der Fraktionen von Union und SPD getan, die zusammen mehr als ein Drittel der Abgeordneten stellen.

Die AfD argumentiert, dass Fraktionen an sich aber gar nicht befugt seien, ein Verlangen auf Einberufung des Bundestags nach Artikel 39 Grundgesetz zu stellen. Es müssten stattdessen konkrete, handschriftlich unterzeichnete Verlangen von mindestens einem Drittel aller Abgeordneten vorliegen.

Zudem hat der alte Bundestag nach Ansicht der AfD nicht mehr die demokratische Legitimation, um über so wichtige Dinge wie Verfassungsänderungen zu entscheiden, wenn ein neues Parlament mit anderen Mehrheiten längst gewählt ist. Jetzt noch den alten Bundestag einzuberufen, verletze die Rechte der neuen Abgeordneten.

Wie argumentiert die Linke?

Eine Verletzung der Rechte neuer Abgeordneter sieht auch die Linke. Juristisch argumentiert sie vereinfacht gesagt so: Sobald der Bundeswahlausschuss am Freitag das Ergebnis der Bundestagswahl offiziell feststellt, müsse sofort der neue Bundestag einberufen werden, wenn wirklich auf die Schnelle etwas zu entscheiden sei. Sondersitzungen des alten Parlaments seien dann nicht mehr zulässig.

Die Linke ist im alten Bundestag mit nur 28 Mandaten vertreten, im neuen hingegen mit 64. Künftig werden ihre Stimmen - oder jene der AfD - für Verfassungsänderungen gebraucht. Ihr politisches Ziel ist, mitzuentscheiden und die Schuldenbremse ganz zu kippen oder zumindest umfassend zu reformieren. So soll dann auch mehr Geld in Infrastruktur fließen - das nach dem Wunsch der Linken Wohnungsbau, Gesundheitseinrichtungen und Schulen zugutekommen soll. Nur Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse auszunehmen, lehnt die Linke ab.

Wie haben sich Rechtsexperten bislang geäußert?

Die Wahlperiode des Bundestags dauert bis zur konstituierenden ersten Sitzung des neu gewählten Parlaments. Diese muss spätestens am 30. Tag nach der Bundestagswahl stattfinden. So steht es im Grundgesetz. Der alte Bundestag ist bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments nicht nur vorübergehend oder "geschäftsführend" im Amt.

"Es gibt keine parlamentsleere Zeit", so Hans-Detlef Horn, Jura-Professor an der Universität Marburg, gegenüber der ARD-Rechtsredaktion. "Der Wortlaut des Grundgesetzes ist in Artikel 39 Grundgesetz eindeutig und lässt keinen Spielraum für Interpretation." Soll heißen: Der alte Bundestag ist nach wie vor voll handlungs- und beschlussfähig. Die meisten Rechtswissenschaftler halten den Noch-Bundestag weiter für uneingeschränkt zuständig und legitimiert - doch nicht alle sehen das so.

Mehr zur Einschätzung von Verfassungsrechtlern finden Sie hier:

Was ist ein Organstreitverfahren?

Wenn es zwischen obersten Bundesorganen zum Streit über ihre Rechte und Pflichten aus dem Grundgesetz kommt, können Betroffene beim Bundesverfassungsgericht ein Organstreitverfahren beantragen. Auch einzelnen Bundestagsabgeordneten, Parteien oder Fraktionen steht diese Möglichkeit offen. Die Antragssteller müssen sich darauf berufen, dass ihre verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten durch ein anderes Bundesorgan verletzt oder gefährdet werden.

Was ist ein Eilantrag?

Bis das Bundesverfassungsgericht über eine Klage entscheidet, können oft Monate oder sogar Jahre vergehen. Wenn es schnell gehen muss, kann das Gericht auf Antrag aber auch einstweilige Anordnungen erlassen. Solche vorläufigen Regelungen sollen verhindern, dass schon Fakten geschaffen werden, die nicht mehr rückgängig zu machen wären, wenn die Karlsruher Richterinnen und Richter später im Hauptverfahren anders entscheiden sollten.

Mit einer solchen Anordnung hatte das Gericht 2023 etwa die Verabschiedung des umstrittenen Heizungsgesetzes im Bundestag gestoppt. Im Hauptverfahren steht eine Entscheidung darüber bis heute aus.

(Quellen: u.a. dpa)

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 12. März 2025 um 09:00 Uhr.