Beamte der Bundespolizei beobachten an der Autobahn A15, an der Grenze zwischen Polen und Deutschland, den aus Polen einreisenden Fahrzeugverkehr.
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Debatte um Migration Sind die Pläne von Merz rechtlich zulässig?

Stand: 27.01.2025 18:57 Uhr

CDU-Chef Merz will am Mittwoch im Bundestag Anträge zum Thema Asyl und Migration stellen. Was fordert die Union konkret? Und was ist rechtlich überhaupt zulässig? 

Von Kolja Schwartz und Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Was bedeutet es, dass die Union "Anträge" stellen möchte?

In dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion heißt es, "der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, unverzüglich folgende Maßnahmen umzusetzen". Dann folgen fünf Punkte, unter anderem: "dauerhafte Grenzkontrollen", "Zurückweisung", "Abschiebehaft". Bei den Punkten handelt es sich also nicht um konkrete Gesetze, die der Bundestag ändern oder beschließen soll. Wenn es im Bundestag dafür eine Mehrheit geben würde, bliebe es zunächst eine Aufforderung an die Bundesregierung. Wie die damit umgeht, bliebe dann ihr überlassen.  

Inzwischen ist jedoch bekannt geworden, dass die Union noch weitere Anträge einbringen will, um konkrete Formulierungen im Asylgesetz und im Aufenthaltsgesetz zu ändern. So soll im Asylgesetz zum Beispiel der Passus "Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern" ergänzt werden durch die Worte "durch Zurückweisung an der Grenze". Diese Gesetzesänderungen würden bei einer entsprechenden Mehrheit dann ohne Umsetzung durch die Regierung gelten. 

Sind dauerhafte Grenzkontrollen zulässig?

Nein. Denn Deutschland hat vor vielen Jahren den Schengener Grenzkodex unterzeichnet. Danach gilt die klare Grundregel: Es gibt keine Grenzkontrollen zwischen den Staaten im Schengen-Raum.

Schengen gilt als ein Grundpfeiler der EU, der zum Beispiel für die Wirtschaft und den Tourismus wichtig ist. Ausnahmen von dem Verbot der Grenzkontrollen sieht der Schengener Grenzkodex selbst vor. Allerdings nur, wenn die Kontrollen in besonderen Gefahrensituationen zwingend erforderlich sind. Und auch dann nur für begrenzte Zeiträume. Der Gesamtzeitraum der Grenzkontrollen darf höchstens auf zwei Jahre verlängert werden.

Schon die jetzigen von Bundesinnenministerin Faeser angeordneten Grenzkontrollen, die nach der Tat von Solingen erweitert wurden, dürften gegen den Schengener Grenzkodex verstoßen. Mit den Vorschlägen der Union würde bei den Grenzkontrollen die Ausnahme zur Regel gemacht. Dauerhafte, zeitlich unbegrenzte Grenzkontrollen sind nach den Schengen-Regeln nicht vorgesehen. 

Warum sind Zurückweisungen an der Grenze rechtlich schwierig?

Entscheidend ist auch bei dieser Frage das EU-Recht, dem Deutschland sich verpflichtet hat. Die EU-Regeln überlagern weitgehend das nationale Recht. In der sogenannten Dublin-III-Verordnung steht unter anderem, wie mit Menschen zu verfahren ist, die an den deutschen Grenzen ankommen und Asyl suchen.

Die Mitgliedsstaaten dürfen sie nicht einfach an der Grenze zum Umkehren zwingen, sondern sie müssen überprüfen, wer für das Asylverfahren in der EU zuständig ist. Nach diesem Verfahren müssen die Flüchtlinge in das zuständige Land überstellt werden. Asylsuchende sollen also koordiniert zurückgeführt werden und nicht in Europa umherirren und von einem Land in ein anderes geschickt werden.

In aller Regel sind für die Asylverfahren nicht die deutschen Nachbarländer zuständig, sondern die Mitgliedsstaaten an den EU-Außengrenzen. Eine Zurückweisung in die Nachbarländer ist also nach ganz überwiegender Meinung der Experten nach den Dublin-Regeln nicht erlaubt. Allerdings gibt es auch einzelne Rechtsexperten, die das anders sehen. Eine Änderung des Asylgesetzes oder des Aufenthaltsgesetzes ändert jedenfalls nichts an den europäischen Regeln, die vorrangig gelten. 

Kann man über eine "Notlage" Zurückweisungen rechtfertigen?

In den CDU-Anträgen heißt es, dass es die Pflicht Deutschlands sei, jetzt nationales Recht vorrangig anzuwenden, weil die europäischen Regeln nicht funktionieren würden.

Grundlage für diese Argumentation ist der Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Der erlaubt es den Mitgliedsstaaten tatsächlich ausnahmsweise, das Europarecht in diesen Asyl- und Migrationsfragen außer Acht zu lassen, wenn die "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung" und der "Schutz der inneren Sicherheit" in Gefahr sind.

Das müsste Deutschland sehr gut begründen. Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bisher allen Staaten, die sich auf Art 72 gestützt haben, nicht recht gegeben. Ob die Straftaten der vergangenen Monate, mit denen die CDU jetzt argumentiert, die Richterinnen und Richter überzeugen, bezweifeln viele Experten. Zumal die Flüchtlingszahlen gleichzeitig rückgängig sind. Voraussetzung für das Außerachtlassen des Europarechts dürfte zudem auch sein, dass Deutschland vorher alles versucht hat, um die Probleme anderweitig zu lösen.

So gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, dass der Europäische Rat Maßnahmen ergreift zugunsten von Staaten, in denen aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Flüchtlingen eine Notlage besteht. Auf eine solche Lösung hat Deutschland bisher aber nicht hingewirkt.   

Was würde passieren, wenn Deutschland dennoch aufgrund einer Notlage zurückweist?

Entscheidend wäre dann, wie die deutschen und europäischen Gerichte über Fälle von Zurückweisungen entscheiden. Zurückgewiesene Asylsuchende könnten vor den Verwaltungsgerichten der Grenzregion klagen und dies mit Eilanträgen verbinden. Bei ablehnenden Entscheidungen wären auch Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht möglich.

Eine besonders wichtige Instanz für dieses Thema ist aber der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. Denn er entscheidet abschließend darüber, wie EU-Recht auszulegen ist. Abgelehnte Asylsuchende können aber nicht selbst direkt bis vor den EuGH gehen. Im Laufe einer Klage würde ein nationales Gericht (relativ schnell) die entscheidenden Fragen dem EuGH vorlegen, der sie dann für das nationale Gerichtsverfahren beantwortet.

Auch ein anderer EU-Mitgliedstaat könnte Deutschland in Luxemburg wegen eines möglichen Verstoßes gegen EU-Recht verklagen. Und die EU-Kommission hätte die Möglichkeit, rechtliche Bedenken anmelden und Deutschland am Ende vor dem EuGH zu verklagen. 

Kann man das EU-Recht nicht einfach ändern?

Natürlich kann man europäisches Recht, also zum Beispiel die Dublin-III-Verordnung, ändern. Allerdings müsste man dazu eine Einigung mit den anderen Mitgliedsstaaten erreichen. Solange die Regeln so sind, wie sie sind, muss Deutschland das europäische Recht beachten. Andernfalls läuft es Gefahr vom Europäischen Gerichtshof verurteilt zu werden. 

Kann man die Abschiebungshaft wie geplant ausweiten?

"Personen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, dürfen nicht mehr auf freiem Fuß sein. Sie müssen unmittelbar in Haft genommen werden", heißt es zu Beginn von Punkt drei der vorgeschlagenen Maßnahmen.

Die Voraussetzungen für unterschiedliche Formen der sogenannten "Abschiebungshaft" sind im Aufenthaltsgesetz (§ 62) geregelt. Sie dient der Vorbereitung oder der Sicherung einer Abschiebung. Im Gesetz steht gleich zu Beginn, dass die Abschiebungshaft nur zulässig ist, wenn es kein milderes Mittel gibt. Sie ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen werden laut Gesetz grundsätzlich nicht in Abschiebungshaft genommen. Die Behörden müssen also den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Diese Pflicht kann der Gesetzgeber auch nicht abschaffen, weil das Prinzip der Verhältnismäßigkeit vom deutschen Grundgesetz garantiert wird.

Außerdem gilt: Auch wenn eine Abschiebung am aufnehmenden Staat und nicht an der ausreisepflichtigen Person scheitert, sind einer Abschiebungshaft Grenzen gesetzt. Daraus folgt: Würde man die Abschiebungshaft so pauschal und weitgehend anwenden, wie im Antrag der Union benannt, stiege das Risiko, dass die Gerichte sie im konkreten Fall für unzulässig erklären.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 25. Januar 2025 um 23:33 Uhr.